Der richtige Präsident

Mit der zum Ende hin doch überraschenden Nominierung Joachim Gaucks haben die Parteien sich und dem Land einen Gefallen getan. Mit seinem freudigen Freiheitspathos bietet der vormalige DDR-Bürgerrechtler eine große Chance – für das Verhältnis von Staat und Bürgern und für eine geistige Revitalisierung der Republik.

Eigentlich hatte ich mich über das Wochenende schon auf einen anderen Kommentar eingestimmt, einen etwas enttäuschten und verdrießlichen. Vieles deutete ja darauf hin, dass erneut Parteiräson und Beharren auf dem kurzfristigen taktischen Vorteil die Nominierung des für alle offensichtlichen besten Kandidaten für das Präsidentenamt verhindern und einen Mann (oder eine Frau) aus dem Apparat an die Staatspitze befördern würde; diesmal vielleicht einen respektablen Richter, Oberbürgermeister oder Minister, der das höchste Amt gewiss gut verwalten und unfallfrei repräsentieren, aber dem Land kaum geistige Inspiration geben könnte. Ich hätte dann über den Unverstand und den fehlenden Mut der Parteiführer geklagt und über die offensichtliche Unmöglichkeit, den Bundespräsidenten aus Parteienstreit und Proporzregeln herauszuhalten und den einzigen Ausweg aus dem traurigen Dilemma angepriesen: die Rückkehr zur Erbmonarchie.

Nun ist es anders gekommen. Die Regierungsparteien haben ihre Selbstblockade überwunden und den Kandidaten Gauck nicht mehr abgelehnt, nur weil er bei der letzten Wahl der Kandidat der Opposition war. Sozialdemokraten und Grüne konnten diesen Namen nicht umgehen, auch wenn sie den „liberalen, linken Konservativen“ Gauck beim letzten Mal in aussichtsloser Lage zuvörderst aufgestellt hatten, um die Koalition mit einem Kandidaten zu ärgern, der für die Bürgerlichen genau genommen deutlich attraktiver war als für sie selbst. Weil am Ende Angela Merkels taktische Klugheit und die Furcht vor dem Koalitionsbruch stärker war als ihre Sturheit und – man traut sich kaum, es zu sagen – dank der Standfestigkeit der FDP wird nun der weitaus beliebteste und geeignetste Bewerber aufgestellt und aller Voraussicht nach am 18. März mit überwältigender Mehrheit gewählt.

Seine wichtigste Aufgabe wird darin bestehen, das zuletzt massiv beschädigte Verhältnis zwischen den Bürgern und dem politischen Betrieb zu verbessern. Weniger, weil nach den Affären um Christian Wulff das Vertrauen in die Politik insgesamt Schaden genommen hätte; Skandale gab und gibt es immer wieder, und das Volk vergisst hier recht schnell. Sondern vielmehr, weil es – trotz oder gerade wegen umfassender medialer Berichterstattung – seit Jahren schon eine wachsende Distanz und zunehmende Sprachlosigkeit gibt zwischen Volk und Politik, Politikern und deren immer erfolgloseren Versuchen, ihre Themen und Pläne erfolgreich zu kommunizieren.

Um diese Kluft zu überbrücken, wird es nicht genügen, sich, wie Horst Köhler es zeitweise versuchte, als Bürgerpräsident gegen die Regierung, als Anti-Politiker zu gerieren; das mag dem Präsidenten billige Popularität verschaffen können, dient der Sache aber nicht. Kritik am politischen Betrieb, wo sie nötig ist, muss geübt werden; in Maßen und in dem Amt würdigen Tonfall. Aber es gehört ebenso dazu, bei den Bürgern Verständnis zu wecken für die Sachzwänge, in denen „die da oben“ sich bewegen, und hier und da auch einzelnen Bewegungen „von unten“ zu sagen, wo sie es sich mit ihrem Urteil zu einfach machen.

Gauck hat das bei verschiedenen Gelegenheiten bereits getan. Seine Biographie erlaubt ihm, dies aus eigener Erfahrung und mit besonderer Tiefe zu tun. Er kann die billige Rhetorik junger Netzaktivisten, die niemals eine Diktatur erlebt haben und dennoch Vorratsdatenspeicherung oder Netzsperren als „Stasi 2.0“ geißeln, schnell entblößen als das, was sie ist: maßlos und geschichtsvergessen. Er kann junge Antikapitalisten, denen als Antwort auf aktuelle Globalisierungsfragen nicht Besseres einfällt als Verstaatlichungsrezepte von vorgestern, zurechtweisen mit dem Hinweis, er habe ein System erlebt, in dem die Banken sozialisiert waren, und könne die Vorzüge hieraus nicht erkennen. Er kann irrationale Ängste vor moderner Technik und die Besitzstandswahrung als mächtigsten Trieb mancher Protestbewegung bloßlegen, weil er nach fünfzig Jahren erlebter Diktatur den Eros der Freiheit immer noch spürt.

Natürlich machen ihn solche Stellungnahmen auch angreifbar; und mit wöchentlichen Predigten gegen die Trägheit in Volk und Parteien alleine kann man eine Präsidentschaft nicht gestalten. Gauck wird hier und da ausgewogener werden müssen, thematisch breiter, er wird seine Sprachgewandtheit und würzige Rhetorik vorsichtiger dosieren und diplomatischer agieren müssen. Tut er das, wirkt er in noch größerem Maße als bisher als „reisender Demokratielehrer“, so wird er bereits viel Gutes für Deutschland getan haben.


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Eigentlich hatte ich mich über das Wochenende schon auf einen anderen Kommentar eingestimmt, einen etwas enttäuschten und verdrießlichen. Vieles deutete ja darauf hin, dass erneut Parteiräson und Beharren auf dem kurzfristigen taktischen Vorteil die Nominierung des für alle offensichtlichen besten Kandidaten für das Präsidentenamt verhindern und einen Mann (oder eine Frau) aus dem Apparat an die Staatspitze befördern würde; diesmal vielleicht einen respektablen Richter, Oberbürgermeister oder Minister, der das höchste Amt gewiss gut verwalten und unfallfrei repräsentieren, aber dem Land kaum geistige Inspiration geben könnte. Ich hätte dann über den Unverstand und den fehlenden Mut der Parteiführer geklagt und über die offensichtliche Unmöglichkeit, den Bundespräsidenten aus Parteienstreit und Proporzregeln herauszuhalten und den einzigen Ausweg aus dem traurigen Dilemma angepriesen: die Rückkehr zur Erbmonarchie.

Nun ist es anders gekommen. Die Regierungsparteien haben ihre Selbstblockade überwunden und den Kandidaten Gauck nicht mehr abgelehnt, nur weil er bei der letzten Wahl der Kandidat der Opposition war. Sozialdemokraten und Grüne konnten diesen Namen nicht umgehen, auch wenn sie den „liberalen, linken Konservativen“ Gauck beim letzten Mal in aussichtsloser Lage zuvörderst aufgestellt hatten, um die Koalition mit einem Kandidaten zu ärgern, der für die Bürgerlichen genau genommen deutlich attraktiver war als für sie selbst. Weil am Ende Angela Merkels taktische Klugheit und die Furcht vor dem Koalitionsbruch stärker war als ihre Sturheit und – man traut sich kaum, es zu sagen – dank der Standfestigkeit der FDP wird nun der weitaus beliebteste und geeignetste Bewerber aufgestellt und aller Voraussicht nach am 18. März mit überwältigender Mehrheit gewählt.

Seine wichtigste Aufgabe wird darin bestehen, das zuletzt massiv beschädigte Verhältnis zwischen den Bürgern und dem politischen Betrieb zu verbessern. Weniger, weil nach den Affären um Christian Wulff das Vertrauen in die Politik insgesamt Schaden genommen hätte; Skandale gab und gibt es immer wieder, und das Volk vergisst hier recht schnell. Sondern vielmehr, weil es – trotz oder gerade wegen umfassender medialer Berichterstattung – seit Jahren schon eine wachsende Distanz und zunehmende Sprachlosigkeit gibt zwischen Volk und Politik, Politikern und deren immer erfolgloseren Versuchen, ihre Themen und Pläne erfolgreich zu kommunizieren.

Um diese Kluft zu überbrücken, wird es nicht genügen, sich, wie Horst Köhler es zeitweise versuchte, als Bürgerpräsident gegen die Regierung, als Anti-Politiker zu gerieren; das mag dem Präsidenten billige Popularität verschaffen können, dient der Sache aber nicht. Kritik am politischen Betrieb, wo sie nötig ist, muss geübt werden; in Maßen und in dem Amt würdigen Tonfall. Aber es gehört ebenso dazu, bei den Bürgern Verständnis zu wecken für die Sachzwänge, in denen „die da oben“ sich bewegen, und hier und da auch einzelnen Bewegungen „von unten“ zu sagen, wo sie es sich mit ihrem Urteil zu einfach machen.

Gauck hat das bei verschiedenen Gelegenheiten bereits getan. Seine Biographie erlaubt ihm, dies aus eigener Erfahrung und mit besonderer Tiefe zu tun. Er kann die billige Rhetorik junger Netzaktivisten, die niemals eine Diktatur erlebt haben und dennoch Vorratsdatenspeicherung oder Netzsperren als „Stasi 2.0“ geißeln, schnell entblößen als das, was sie ist: maßlos und geschichtsvergessen. Er kann junge Antikapitalisten, denen als Antwort auf aktuelle Globalisierungsfragen nicht Besseres einfällt als Verstaatlichungsrezepte von vorgestern, zurechtweisen mit dem Hinweis, er habe ein System erlebt, in dem die Banken sozialisiert waren, und könne die Vorzüge hieraus nicht erkennen. Er kann irrationale Ängste vor moderner Technik und die Besitzstandswahrung als mächtigsten Trieb mancher Protestbewegung bloßlegen, weil er nach fünfzig Jahren erlebter Diktatur den Eros der Freiheit immer noch spürt.

Natürlich machen ihn solche Stellungnahmen auch angreifbar; und mit wöchentlichen Predigten gegen die Trägheit in Volk und Parteien alleine kann man eine Präsidentschaft nicht gestalten. Gauck wird hier und da ausgewogener werden müssen, thematisch breiter, er wird seine Sprachgewandtheit und würzige Rhetorik vorsichtiger dosieren und diplomatischer agieren müssen. Tut er das, wirkt er in noch größerem Maße als bisher als „reisender Demokratielehrer“, so wird er bereits viel Gutes für Deutschland getan haben.


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