Der Salon

Das neunzehnte Jahrhundert ist für die europäischen Juden die Zeit des erst langsamen Marsches aus dem Ghetto und dann immer rasanteren Aufstiegs. In Deutschland leisten sie, von der Politik noch ausgesperrt, vor allem einen Beitrag in Unternehmertum, Wissenschaft und „Geist“ – Literatur und gepflegter Konversation. Eine Meisterin darin ist Rahel Varnhagen, geborene Levin.


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Den klassischen Salon sich vorzustellen fällt heute schwer. Unsere Zeit ist zwanglos in beinahe allem, so verstehen wir nicht mehr seine befreiende Wirkung. Um 1800 ist wenig zwanglos; die Gesellschaft zergliedert in Stände, Religionen, Geschlechter, die Abstand wahren und deren Umgang miteinander strengen Formen genügt. Im Salon kommen sie zusammen: Adelige und Bürgerliche, Christen und Juden, Männer und Frauen, Alte und Junge; begegnen sich von gleich zu gleich. Es zählt nicht, wer an Macht oder Rang oder Vermögen überlegen ist, sondern wer durch Geist und Witz zu unterhalten und belehren weiß.

Im Haus Levin

Man trifft sich in wechselnder Runde, Beamte, Schriftsteller, Forscher, Privatgelehrte, meist nachmittags zum Tee für einige Stunden. Beständig ist der Ort, und beständig ist die Gastgeberin: Rahel Levin, in diesem Fall. Ihr Salon bietet im Berlin der Jahrhundertwende das höchste Niveau. Man braucht nur die Namen herzuzählen: Tieck, Gentz, die Brüder Humboldt, Schlegel, Schleiermacher, Louis Ferdinand von Hohenzollern. Preußens geistige Elite gibt sich bei ihr die Ehre. Dass sie aus jüdischer Familie stammt, stört nicht; es betont eher noch, dass man das normale Leben hinter sich lässt und im Salon gleichsam auf neutralem Boden einkehrt.

Die Dame des Hauses wirkt bezaubernd auf ihre Gäste; nicht durch Schönheit, sondern Geist. Vielfach ist es bezeugt. Die Konversation hat sie zur Kunst entwickelt, kann so geduldig zuhören wie hinreißend erzählen und ist unbestritten die Dirigentin der Gesprächsrunde: charmant, keck, von schneller Auffassung und gekonnt im Stil; in ihren Briefen, viele Tausende, kann man es nachlesen.

Eigentliche Literatur zu schreiben bleibt ihr als Frau und Jüdin zu dieser Zeit verwehrt. Das Missverhältnis von Talent und Möglichkeiten ist ihr spürbar: „Ich bin eine Falschgeborene, und sollte eine Hochgeborene sein.“ Und, halb eskapistisch: „Wir sind eigentlich, was wir sein möchten, und nicht, was wir sind.“ Es bleibt die Korrespondenz, und es bleibt der Salon. Wofür sie reichlich Zeit und Geld aufwendet.

Die Familie kann es sich leisten; Vater Markus ist Geldhändler, genügend Erbe vorhanden; die Brüder unterstützen Rahel. Auch, wenngleich murrend, als sie trotz mancher Liebschaft lange unverheiratet bleibt und sich lieber schöngeistigen Dingen widmet. Bei ihrer Heirat, 1814, ist sie bereits dreiundvierzig Jahre alt; sie bleibt kinderlos.

Angekommen und doch nicht

Der Mann, Karl August Varnhagen, vierzehn Jahre jünger, ist preußischer Offizier und Diplomat. Bei einer Heirat mit einer ungetauften Jüdin wäre seine Karriere ruiniert. Rahel muss konvertieren. Sonderlich schwer fällt es ihr nicht; die Familie hat die Religion lange schon nicht mehr praktiziert, Feiertage und Bräuche nicht mehr geachtet, und die bleibende Diskriminierung – die gesetzliche Gleichstellung kommt erst 1812, und zunächst bloß formal – führte bei Rahel zu einer Geringschätzung ihrer Abstammung, in der manch böse Sätze fielen: „Der Jude muss aus uns ausgerottet werden; das ist heilig und wahr, und sollte das Leben mitgehen.“ Man soll das freilich nicht zu schwer wiegen, wer viel schreibt, spontan und geistreich, langt auch manchesmal daneben, und später finden sich auch wieder durchaus wertschätzende Äußerungen über ihre jüdische Herkunft.

Mit der Heirat rückt Rahel zunächst ins zweite Glied hinter ihrem Mann zurück, dessen geistige Gaben an die ihren freilich nicht heranreichen. Diplomat und Gattin führen die Zeitläufte nach Wien zum Kongress und dann als Gesandte zum badischen Großherzog. In hohen Kreisen rümpfen manche über beider Abkunft die Nase; und in Karlsruhe bildet sich kein Salon, der mit der Berliner Zeit vergleichbar wäre.

Aber das ist bald vorüber. 1819 mit den Karlsbader Beschlüssen ändert sich die politische Großwetterlage, Varnhagen passt nicht mehr nach Karlsruhe, und so zieht man nach Berlin zurück. Rahel begründet ihren zweiten Salon, in der Mauerstraße wie früher in der Jägerstraße. Dort versammeln sich Vertreter einer neuen Generation des Geistes, die Heine, Börne, Ranke, Grillparzer, Mendelssohn. Rahel Varnhagen von Ense – so nun ihr voller Name nach der Nobilitierung – bietet der gepflegten Konversation noch ein gutes Jahrzehnt eine Heimstatt. 1833 stirbt sie, im zweiundsechzigsten Lebensjahr, nachdem ihre immer schon anfällige, kurbedürftige Gesundheit sich zusehends verschlechtert hat. Auf dem Grabstein steht sie als geborene Robert – eine Art Deckname, den sie schon früher in Gebrauch hatte, um ihre jüdische Herkunft zu verschleiern und den Nachteilen auszuweichen, die sie mit sich brachte.

Rahels treuer Ehemann sorgt für ihren literarischen Nachruhm durch die Veröffentlichung von Briefen und Tagebuchnotizen. So steht sie, im großen Jahrhundert der Briefeschreiber, welches das neunzehnte gleichermaßen war wie das des Salons, postum denn doch als bedeutende Schriftstellerin da; Meisterin der deutschen Sprache in einer Zeit, in der das durchaus etwas heißen wollte.


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