Die Fabrik der Zukunft

Der Produktionsstandort Deutschland am Scheideweg


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Was kennzeichnet die „Fabrik der Zukunft“?

Sie ist also da: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) proklamiert die vierte industrielle Revolution. Nach den ersten drei Revolutionen – Erfindung der Dampfmaschine, Arbeitsteilung, Einsatz von Elektronik und IT zur Automation – sollen Cyber-Physical-Systems („CPS“) die vierte Revolution bewirken. Gemeint ist die Vernetzung von eingebetteten Informations- und Kommunikations-Systemen untereinander und mit dem Internet. In der Fabrik der Zukunft („Smart Factory“) sind Produkte intelligent, eindeutig identifizierbar und jederzeit lokalisierbar. Sie kennen ihre eigene Historie, ihren aktuellen Zustand sowie mögliche Wege zum Zielzustand. Die eingebetteten Produktionssysteme sind vertikal mit betriebswirtschaftlichen Prozessen innerhalb von Fabriken und Unternehmen vernetzt und horizontal mit verteilten, in Echtzeit steuerbaren Wertschöpfungsnetzwerken verknüpft – von der Bestellung bis zur Auslieferung (2). Konkret könnte dies beispielsweise für ein Getriebeelement bedeuten: Es kann jederzeit in der Fertigung lokalisiert werden, es weiß, welcher Kunde es bestellt hat und kennt den eigenen Fertigstellungstermin. Außerdem weiß das Bauteil, auf welchen Maschinen es in welcher Reihenfolge bearbeitet werden kann und wie lange jeder einzelne Bearbeitungsschritt dauert. Darauf basierend verhandelt das Bauteil mit anderen Bauteilen um Zeitscheiben für die Bearbeitung auf den Maschinen. Errechnete Zwischentermine oder voraussichtliche Verspätungen werden an den Fertigungsplaner oder direkt an den Kunden kommuniziert.

Weshalb wird die „Fabrik der Zukunft“ benötigt?

Die Smart Factory soll also der Weg sein, um die Herausforderungen zu meistern, mit denen produzierende Unternehmen in Deutschland künftig konfrontiert sind. Entsprechend lang ist die Liste an Herausforderungen (3): Die zunehmende Globalisierung führt zu noch stärkerem Wettbewerbsdruck. Dieser nimmt durch die Fortschritte v. a. der asiatischen Staaten und die fallenden Transport- und Logistikkosten stärker zu. Als Hochlohnland kann sich Deutschland dabei im internationalen Wettbewerb nur durch Qualität und Innovationen behaupten. Doch selbst qualitativ hochwertige, innovative Produkte reichen dafür nicht aus, wenn sie nicht rechtzeitig am Markt sind. Dynamische, kürzere Produktlebenszyklen sind die Folge. Es muss rasch auf instabilere und dynamische Märkte reagiert werden. Flexibilität und Wandlungsfähigkeit sind die Stichworte. Um diese Anforderungen zu stemmen, müssen auf allen Hierarchieebenen hochqualifizierte Mitarbeiter tätig sein. Gerade in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland ist die Qualifikation der Mitarbeiter von entscheidender Bedeutung – diese werden jedoch im Zuge des demographischen Wandels immer weniger. Und zu alledem sollen die Produkte selbstverständlich ökologisch-ressourceneffizient, zu sozial akzeptablen Bedingungen, nachhaltig erwirtschaftet sein.

Prognosen für die Zukunft

Je nachdem, ob und wie diese Herausforderungen gemeistert werden, sind verschiedenste Szenarien möglich. An dieser Stelle sollen die Extrema geschildert werden, so dass der phantasievolle Leser sich das realistischste Szenario selbst konstruieren kann.

Negativszenario: Die Fabrik der Zukunft steht nicht mehr in Deutschland. Die Unternehmen in Niedriglohnländern bauen Know-how auf und investieren massiv in die technische Ausbildung sowie in die gleichen, hochqualitativen Softwarewerkzeuge und Maschinen wie deutsche Unternehmen. Während die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sinkt, geht die fortschreitende Industrialisierung der Niedriglohnländer mit rapidem Marktwachstum einher. Die Produktion verlagert sich in einem Domino-Effekt aus den Hochlohnländern in die Niedriglohnländer. Steigende Lohnkosten in den Niedriglohnländern wirken den Verlagerungen zwar entgegen, allerdings wiegt der Qualifikationsanstieg den Lohnkostenanstieg auf. Gleichzeitig verhindern politische Faktoren in Deutschland eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnanpassung. Hinzu kommen Einfuhrhürden wie Local-Content-Bestimmungen, die der exportorientierten deutschen Wirtschaft schaden. In diesem Fall wird bereits bis 2020 jeder vierte Arbeitsplatz in der Produktion in Deutschland abgebaut sein (4). Bei derzeit 7,7 Millionen direkt in der Produktion Beschäftigten würde dies selbst bei vorsichtiger Prognose einen Abbau von fast zwei Millionen Arbeitsplätzen bedeuten.

Positivszenario: Die Fabrik der Zukunft als Chance für den Standort Deutschland. Der Produktionsstandort Deutschland wird erhalten. Der Automatisierungsgrad in der Fabrik der Zukunft ist deutlich angestiegen. Insbesondere die Standardisierung von Automatisierungskomponenten macht wesentliche Fortschritte. Durch fallende Preise für Automatisierungslösungen („low-cost-automation“) profitieren zunehmend kleine und mittlere Unternehmen von Rationalisierungsvorteilen durch Automatisierungslösungen. Indirekte Bereiche – Verwaltung, Planung und Steuerung – sind ebenfalls stärker automatisiert und erfüllen in begrenztem Maße Aufgaben, die heute noch Mitarbeiter selbst ausführen. Die Akzeptanz Cyber-physischer Systeme durch die Mitarbeiter wird gefördert, indem kluge Anreize für die Verbesserung der Transparenz in den Produktions-, Planungs- und Steuerungsprozessen geschaffen werden. Beispielsweise wird der Abbau redundanter Datenpflege in IT-Systemen verschiedener Bereiche monetär honoriert und den Ängsten der Mitarbeiter vor einem Arbeitsplatzverlust durch frühzeitig abgestimmte Personalentwicklungsmaßnahmen entgegnet.

Eine Voraussetzung sind inflationsbereinigt stagnierende Löhne, um die Produktivität auf einem wettbewerbsfähigen Niveau zu halten. Ausgenutzte Rationalisierungseffekte in der Produktion federn die Auswirkungen des Fachkräftemangels ab. Ein Kulturwandel in Unternehmen führt dazu, dass im Zuge des demographischen Wandels immer mehr ältere Mitarbeiter beschäftigt sind, deren ergonomische Bedürfnisse bei der Arbeitssystemgestaltung berücksichtigt werden. Assistenzsysteme verschiedenster Art kommen vermehrt zum Einsatz.

Nachfrageschwächen auf dem Binnenmarkt werden durch die globalere Verflechtung und abnehmende Exporthemmnisse sowie zunehmenden Freihandel ausgeglichen. Die deutsche Industrie nimmt eine führende Position bei der ressourceneffizienten Nutzung von Materialien ein, um die steigenden Ressourcenkosten und Engpässe auf besonders wettbewerbsintensiven Beschaffungsmärkten zu kompensieren. Deutschland konzentriert sich auf wachsende Branchen (z. B. E-Mobilität, Assistenzsysteme, Regenerative Energien, Medizintechnik) und behält in diesen Branchen durch konzentrierte F&E-Aktivitäten die Innovationsführerschaft. Als Leitanbieter für intelligente Systeme ist Deutschland in der Lage, bei der Ausrüstung mit Investitionsgütern weltweite Standards zu setzen. Dabei hält der Trend von reinem Produkt-Vertrieb hin zu Systemlösungen mit breitem Beratungsspektrum und After-Sales-Service weiter an.
Wichtigste Ressource Deutschlands ist das Know-how der Menschen. Unternehmen und Forschungseinrichtungen haben die Generierung, Nutzung und den Transfer von Wissen effizienter gestaltet. Dazu gehört insbesondere ein besserer Austausch unterschiedlicher Fachdisziplinen zur Generierung innovativer Lösungen. Im nicht-akademischen Bereich führen verstärkte Anstrengungen im Bildungswesen dazu, auch Verlierer des Bildungssystems vermehrt aufzufangen und ihnen durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen – die auf die reale Nachfrage auf dem primären Arbeitsmarkt gerichtet sind – Perspektiven und Chancen zu ermöglichen.

Fazit

Die Frage, ob es überhaupt eine „Fabrik der Zukunft“ gibt, muss letztlich von der Gesellschaft beantwortet werden. Die deutsche Industrie kann sich im globalen Wettbewerb nur durch Wissen, Kreativität und Transformation behaupten, also letztlich die Fähigkeit, Innovationen umzusetzen. Die wichtigsten Voraussetzungen hierfür sind hervorragende Bildung und Ausbildung. Dies sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben von Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlicher Hand, sowie vor allem eines jeden einzelnen. So ist es vielleicht auch kein Zufall, dass die Mehrzahl der treibenden Unternehmen hinter „Industrie 4.0“ verantwortungsbewusste und vorausschauende Hidden-Champions mit z. T. langjähriger Familientradition sind, beispielsweise das Igersheimer Maschinenbauunternehmen Wittenstein.

Trotz allen Neuerungen werden in der Fabrik der Zukunft Herstellkosten und Qualität nach wie vor die entscheidenden Kennzahlen sein. Allerdings werden Geschwindigkeit und Flexibilität zunehmend an Bedeutung gewinnen. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen kann die Förderinitiative „Industrie 4.0“ wichtige Impulse liefern. Es ist Aufgabe von Wirtschaft und Wissenschaft, diese Impulse als Katalysator aufzunehmen, um den Industriestandort Deutschland zu sichern, um den uns so viele Staaten beneiden.

Anmerkungen
(1) http://www.bmbf.de/de/19955.php
(2) http://www.bmbf.de/pubRD/Umsetzungsempfehlungen_Industrie4_0.pdf
(3) Auswahl. Detailliert nachzulesen bei: Abele, E.; Reinhart, G.: Zukunft der Produktion: Herausforderungen, Forschungsfelder, Chancen. München: Hanser, 2011. ISBN: 978-3446425958
(4) McKinsey&Company (Hrsg.): Made in Germany – Zukunftsperspektiven für die Produktion in Deutschland. München 2009.


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