„Die Gestrichenen“ – ein deutsch-polnisches Projekt

Zur Rehabilitation der im 3. Reich de-promovierten Wissenschaftler an der Universität Breslau


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Nach 1933 entließen die Nationalsozialisten Akademiker nicht-arischen Ursprungs aus den Universitäten. Rund 1700 Doktoren verloren ihre Titel. Ein Präludium zur anschließenden, dauerhaften Vertreibung. An der schlesischen Universität zu Breslau betraf dies nach heutigen Schätzungen über 250 Doktoren, mehr als irgendwo sonst im Deutschen Reich. Diesem akademischen Aderlass folgte mit dem Kriegsende 1945 die Schließung der deutschen Friedrichs-Wilhelms-Universität zu Breslau und dahingehend das Ende einer rund 240-jährigen akademischen Tradition. Ihren Platz nahm die polnische Uniwersytet Wrocławski ein. Die Patenschaft über die ehemals deutsche Universität übernahm 1951 die Universität Köln. Diese restituierte ihre aberkannten akademischen Grade im Jahr 2005. Ein Bestreben, dem in den letzten Jahren viele deutsche Universitäten folgten. An der heute polnischen Universität in Breslau scheint dies bislang nicht möglich zu sein. Sie versteht sich als neue Institution und pflegt die Tradition der 1939 im Rahmen der Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion für Polen verlorenen Universität Lemberg.

Forschungen von Kai Kranich

Angestoßen hat die Aufarbeitung dieses Kapitels der Breslauer Geschichte der Dresdner Bundesbruder Kai Kranich. Der 33-Jährige beschäftigt sich seit 2004 mit der Geschichte Breslaus und schrieb später seine Magisterarbeit über die „gestrichenen“ Wissenschaftler der Universität. Auf der 300-Jahr-Feier der Universität, die sich zwischenzeitlich mehr zu ihren österreichischen und preußischen Wurzeln bekennt, sprach Bbr. Kranich und betonte die Notwendigkeit, auch ohne Rechtsnachfolge zumindest eine symbolische Rehabilitation der Wissenschaftler zu ermöglichen. So verweise die Universität ja auch auf ihre Nobelpreisträger aus deutscher Zeit. Dabei sei, so Kranich, viel Überzeugungsarbeit und diplomatisches Taktgefühl notwendig gewesen. So wurde dieses Vorhaben von der polnischen Öffentlichkeit und Medien überaus kritisch begleitet. Man könne sich doch nicht für die Verbrechen der Deutschen verantworten, zitiert Prof. Krysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschlandstudien in Breslau, dazu einen Hochschulkollegen.

Bei Prof. Ruchniewicz indes fand Kranichs Anliegen ein Gegeninteresse. Dieser betonte: Man möchte altes Unrecht aus der Welt schaffen, da sich in Deutschland lange Zeit niemand erinnern konnte oder wollte und es keine Institution mehr gibt, die die Wissenschaftler zumindest formell rehabilitieren kann. Auch das Marschallamt der Wojewodschaft Niederschlesien und die Stadt Breslau zeigten Interesse an dem Thema, nachdem Bbr. Kranich sie dazu konsultierte, und das Projekt „Die Gestrichenen“ wurde geboren. Es sei ein langer Weg gewesen, aber doch der Beginn eines Prozesses, an dessen Ende die Erkenntnis stand, dass eine Rehabilitierung ein wichtiges Zeichen für eine weltoffene Stadt Breslau ist. Ein Zeichen für ein entspanntes deutsch-polnisches Verhältnis auch bei historischen Fragen und ein Zeichen dafür, dass sich die heutige Universität Breslau allein wissenschaftlichen Standards verpflichtet fühlt. Ein Zeichen auch dafür, dass Menschen mit jüdischen Wurzeln in dieser Stadt willkommen sind.

Rehabilitation

Am 22. Januar 2015 wurden in einem Festakt in der Aula Leopoldina der Universität Breslau die entlassenen Doktoren rehabilitiert. Honorationen der Stadt und der Region, wie der Marschall der Wojewodschaft, Cezary Przybylski, der Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz, die deutsche Generalkonsulin Elisabeth Wolbers, die Rektoren der Breslauer Universität Prof. Marek Bojarski und der Kölner Universität, Prof. Axel Freimuth, wohnten der Veranstaltung bei. Bewegend sei der Auftritt von Gideon Greif, dem Enkel der Akademiker Elfriede und Karl Danziger, die 1940 ihren Doktorgrad verloren hatten, gewesen. Abgeschlossen wurde der Festakt mit einer gemeinsamen Erklärung der Universitäten Wroclaw und Köln, in der sie u. a. schreiben: „Diese Akte der politischen Verfolgung haben die Menschenrechte verletzt. Sie waren rechtswidrig, willkürlich, menschenverachtend und einer Universität unwürdig. […] Die Universitäten erklären weiterhin, dass sie die Aberkennung des Doktorgrades der genannten Personen für null und nichtig und deshalb für rechtlich unwirksam halten.“


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Rudolf Bede

geb. 1986, Soziologie und Erziehungswissenschaftler, Chefredaktion.

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