Die Politisierung der Kultur

Eines immerhin haben haben AfD und Pegidianer erreicht: In Deutschland wird wieder gestritten, um politische Grundpositionen im Meinungskampf heftig gerungen. Das ist gut. Freilich verroht zunehmend die Diskussionskultur, auf beiden Seiten; das ist weniger gut. Und der Tiefpunkt des Niveaus wird oft erreicht, wenn der Kulturbetrieb politisch aufgeladen wird.


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Nun hat das zuständige Landgericht entschieden: Die Berliner Schaubühne darf ihr Stück FEAR weiter zeigen, in dem AfD-Politiker, u. a. Beatrix von Storch, mit hässlichen Zombiebildern verschnitten und die ängstlichen Wutbürger auf der Straße als hetzerischer Mob überzeichnet werden. Trotz der indirekt womöglich auch physischen Folgen: Haus und Hof und Automobil betroffener Politiker wurden in der Folge Opfer von Anschlägen. Aber dafür sind die Theatermacher, so kann man das Urteil lesen, nicht verantwortlich, weil sie nicht wörtlich dazu aufriefen; auch wenn sie im Stück selber den direkten Zusammenhang von Wort und Tat, geistiger und physischer Brandstiftung auf der anderen Seite deutlich nahelegen, selbst da, wo mit den Worten nicht direkt Gewalt gepredigt wird. Und Frau von Storch als Betroffene das Stück sehr deutlich als Mordaufruf verstand. – In diesem Fall und da es sich um Politiker, also Personen des öffentlichen Lebens handelt, geht die Kunstfreiheit vor den Persönlichkeitsrechten; sagt das Gericht.

Wäre das eine Berliner Lokalepisode, könnte man die Sache schnell vergessen. Ist sie aber nicht; das Phänomen ist ein größeres. Die Kultur wird gerade politisch aktuell wie schon lange nicht mehr. In Dresden macht die Theaterszene gegen Pegida mobil. In Mainz übertönt ein Chor gegen polizeiliche Anweisung eine genehmigte AfD-Demonstration. In Konzerten verbinden die Musiker ihre Stücke mit politischen Stellungnahmen, in der Regel für offene Grenzen und gegen das, was sie als Fremdenfeindlichkeit verstehen. Und sagen deutlich, wen sie als Fremdenfeinde identifiziert haben.

Politische Grenzen des Künstlers

Die Frage ist nun nicht, ob Kunst das „darf“. Rechtlich darf Kunst eine Menge, die Graubereiche auszuloten ist wie in dem skizzierten Berliner Fall Sache der Gerichte, gegen Überschreitungen wie in Mainz vorzugehen Sache der Polizei – Sache der Behörden also und nicht eigentlich der Politik. Die Frage ist eher, ob dieses Engagement, wohlgemeint, wie es ist, der Sache eher nutzt oder schadet; dem eigenen Anliegen wie der politischen Kultur an sich.

Politische Kultur ist etwas anderes als Kunst-Kultur. Politik braucht Debatte mit Sachverstand und fairem Umgang mit abweichenden Meinungen. Künstler haben selten großen politischen Sachverstand, und meist auch kein abgewogenes Urteil. Kunst denkt in Extremen, die Politik in Maß und Mitte. Kunst arbeitet mit Vereinfachungen der komplexen Realität, die nur so dramatisch überhaupt darstellbar ist. Der Politiker tut das mitunter auch, aber so weit wie der Künstler gehen hierin kaum die schärfsten Demagogen. Kunst verstärkt Emotionen, Liebe wie Hass. So dass die Kunst gegen den Fremdenhass ins Feld zu führen oft auf die Bekämpfung von Hass durch neuen Hass hinausläuft.

Mindestens aber auf einen Verlust an Niveau, politisch wie künstlerisch. Man braucht sich nur einiger großer Namen deutscher Literaten in den letzten hundert Jahren zu erinnern. Die Brüder Mann, Brecht, Grass und so fort. Große Schriftsteller ohne Zweifel. Wenn sie sich unmittelbar politisch äußerten, kam aber nicht selten naiver Unfug heraus, der durch die Größe ihres Geistes nur noch vergröbert wurde. Und auch schriftstellerisch sind die politischen Traktate in aller Regel die besten Werke nicht.

Der Künstler hat, trotz lauter, öffentlich vernehmbarer Stimme nicht nur kein politisches Mandat, sondern auch keine Qualifikation für das politische Handwerk. Ludwig Erhard hat das einmal böse, aber nicht unzutreffend umschrieben: In der Politik fängt auch der größte Intellektuelle zunächst einmal als kleiner Pinscher an.

Hang zur Ausgrenzung

Dies Anfangen kann und soll ihm gewiss niemand verbieten. Natürlich ist, beispielsweise, ein Dirigent wie Enoch zu Guttenberg frei, im Konzertsaal umweltpolitische Ansprachen zu halten, mag man es auch peinlich finden. Die Leute wissen, was sie erwartet. Und solange sie dennoch kommen, sind die ästhetischen Grenzen offensichtlich nicht überschritten.

Es ist nur leider so, dass es auch innerhalb des Kulturbetriebs nicht nur den Ausdruck der eigenen Weltanschauung gibt, sondern auch den Hang zur Ausgrenzung der Andersmeinenden. Jüngste prominente Beispiele sind der Sänger Xavier Naidoo, dessen Nominierung für den Eurovision Song Contest die ARD nach öffentlichem Protest schnellstens zurücknahm; und der Schriftsteller Akif Pirincci, den der Buchhandel nach seiner heftig umstrittenen Ansprache bei einer Pegida-Demonstration zum Ausgestoßenen erklärte und seine Werke seither nicht mehr vertreibt. Beide werden aus keinem anderen Grunde boykottiert, als dass sie ihre Kunstfreiheit in ähnlicher Radikalität ausleben wie die Berliner Schaubühne. Nur eben in einem anderen Bereich des politischen Spektrums als die staatssubventionierte Gesinnungslinke im Theater.

Nun braucht man die beiden nicht bemitleiden. Der Sohn Mannheims hat sich seinen Ruf als wirrer Verschwörungstheoretiker ehrlich erarbeitet und seine Liedtexte oft genug mit hässlicher Gewaltrhetorik entstellt. Und der Katzenbuchautor aus Konstantinopel, auf seine alten Tage scheinbar zum Gesinnungsarier mutiert, hat sich mit Fäkalsprache und Vulgärbiologismus durchaus selbst ins politische Abseits geschossen. Beide sind nur weitere Beispiele, dass politische Ausflüge bei Künstlern oft nicht eben glücklich enden; insofern gleich mit den anderen zu behandeln und nicht anders.

Politisierung ist Abstieg

Während nun allerdings Naidoo und Pirincci wie verirrte Einzelgänger wirken, die bei Reichsbürgern und Pegida oder anderen verirrten Randgruppen Anschluss suchen, und andere allenfalls dadurch politisieren, dass sie zum Widerspruch reizen, hat die teils staatsfinanzierte Gegenseite durchaus Systemcharakter und wirkt mit Druck und Zwang. Andere sollen sich mitbekennen zu den Losungsworten: Toleranz, Willkommenskultur, Asyl für alle. Wer es nicht tut, als Kulturschaffender jedenfalls nicht öffentlich tut, gilt als verdächtig.

Die Politisierung, oder vielleicht besser Moralisierung der Kultur schreitet voran. Sichtbarstes Beispiel – und auch Teil mindestens der Unterhaltungskultur – sind die großen Sportverbände, IOC, DOSB, FIFA, UEFA, DFB. Von denen nicht nur erwartet wird, dass sie selber, auch wenn sie international zusammengesetzt oder vernetzt sind, sich buchstabengetreu an euroamerikanische Compliance-Regeln halten, die in Lateinamerika, Afrika, Asien nirgendwo gesellschaftliche Realität sind. Sondern auch, dass sie selber politische Botschaften verbreiten.

Die Vergabe von Turnieren oder die Teilnahme an Turnieren wird zum politischen Statement für Demokratie oder Diktatur hochstilisiert. Von Athleten wird erwartet, dass sie Stellungnahmen abgeben, als wären sie Menschenrechtsbotschafter. Was nicht nur Zwang und Überforderung der jungen Leute darstellt, sondern, wie freilich politische Verlautbarungen aus Sport und Kultur fast immer, nichts und niemandem nutzt außer der eigenen moralischen Selbstbestätigung. Die Anti-Rassismus-Einblendungen oder die per Verbandsorder zu verlesenden Kapitänsansprachen vor Fußball-Länderspielen erscheinen schlicht als zwanghaft aufgesetzte Peinlichkeiten; wirksames Marketing mögen sie womöglich sein, mehr nicht.

Politisierung bedeutet fast immer Abstieg und Niveauverlust. Sport steht eigentlich jenseits der Politik, was sich nicht anders ausdrückt als in Äquidistanz zu den Politikern aller Seiten. Das hat ein Sepp Blatter besser verstanden und für die völkerverbindende Wirkung des Fußballs weit mehr getan als die geifernden Moralapostel, die ihn derzeit verfolgen. Großer Sport, ganz einfach dadurch, dass er großer Sport ist, veredelt den Menschen; internationale, friedlich ausgetragene Turniere, Fair Play, Bewunderung für ehrliche Leistung und Talent, Respekt für den geschlagenen Gegner. Ihn politisch aufladen heißt ihn geringer machen.

Für die Kunst gilt im Grunde Gleiches, wenn auch ihre Ausdrucksformen, Sprache, Musik, Bilder, mitunter ähnliche sind wie die, welche im politischen Kampf Einsatz finden. Politik, gerade demokratische Politik ist Sache der Vielen; was hier nicht abwertend gemeint sein soll, im Sinne des Gemeinen, der Masse; nur eben mit Blick auf das Ganze, nicht auf den Einzelnen. Kunst ist aristokratisch in dem Sinne, dass die mit künstlerischem Talent gesegneten, jedenfalls das Kunsthandwerk betreibenden immer wenige sind. Und sie erreicht ihre höchsten Höhen mit dem tiefen Blick in die einzelne Seele.

Ausflüge in die Politik sind natürlich erlaubt; wir leben in einem freien Land. Nur eben: Viel von ihnen erwarten sollte man nicht, und ein Glück für die öffentliche Debatte sind sie selten.


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