Ein gerechtes Anliegen

Fast alle sind sich einig: Das im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vereinbarte Betreuungsgeld, liest man in allen Blättern, sei ein verfehltes Projekt. Aber die Debatte hat erhebliche Schieflage; will der Staat gerecht sein, kann er kaum anders. Der Erziehungsbonus muss kommen.


ALLE Artikel im Netz auf aka-bklaetter.de lesen und auch das Archiv?

Jetzt kostenlos

Anmelden


Es ist eine übergroße Koalition der Gegner, die sich da zusammengefunden hat: Fast alle maßgeblichen Medien und sogenannten Experten, eine deutliche Mehrheit in den Umfragen und alle Parteien außer der CSU, der ihre Koalitionspartner nicht einmal mehr halbherzig beistehen. Allerorten regt sich Widerstand gegen das Betreuungsgeld – abschätzig auch Herdprämie genannt –, das die CSU-Familienpolitiker 2009 zwar irgendwie im Koalitionsvertrag hatten unterbringen können, von dem aber kaum jemand erwartete, dass es letztlich Gesetzesform annehmen würde. Nun ist es soweit: Die Bayern beharren auf ihrem Lieblingsprojekt, das wenige außer ihnen wollen; zu teuer, mit ungewollten Nebeneffekten behaftet und im übrigen Ausfluss eines veralteten Familienbildes – so die wesentlichen Argumente dagegen, die in bunten Variationen durch die Pressemitteilungen, Leitartikel und Talkshows geistern.

Für sich genommen sind diese Argumente auch nicht völlig falsch. Was, kann man aus einer freiheitlichen Perspektive heraus fragen, geht es den Staat denn an, wie Eltern ihre Kinder aufziehen wollen, daheim aus eigener Kraft oder in Betreuungseinrichtungen? Familienleben ist Privatsache; Kindererziehung ist Privatsache. Warum sollte der Staat hier steuernd eingreifen, Anreize setzen? Woher nimmt er das Recht?

Nun: Er tut es bereits, indem er die Betreuungseinrichtungen finanziell unterstützt, und zwar in erheblichem Umfang. Den im Raum stehenden 150 Euro monatliches Betreuungsgeld steht ein Vielfaches an öffentlichen Subventionen gegenüber, das vom Staat für jeden einzelnen Kita-Platz aufgewendet wird; nur die allerwenigsten Betreuungseinrichtungen tragen sich wirtschaftlich selbst. Und mit diesen Subventionen setzt der Staat ebenso Anreize: zugunsten der „modernen“ Familie, in der beide Elternteile arbeiten und Einkommen erzielen können. Daheim erziehende Eltern, die auf einen Teil ihres Einkommens verzichten, zahlen die Subvention über ihre Steuern indirekt mit. Der Staat steuert also bereits; und hier kann man genauso fragen: Woher nimmt er das Recht?

Aus seinem Überlebensinteresse heraus, mag man angesichts niedriger Geburtenraten antworten können, weil er werdenden Eltern damit die Entscheidung für Kinder erleichtert, indem er ihnen Betreuungsperspektiven bietet. Das ist ein gewichtiges Argument; die Sicherung des eigenen Bestandes macht erhebliche Eingriffe des Staates ins Leben seiner Bürger verhältnismäßig – aber nur, wenn sie wirksam und notwendig sind. Und kann er das nicht auch, ohne ein bestimmtes Familienbild zu bevorzugen? Wenn sich viele Familien nicht-subventionierte Kita-Plätze nicht leisten können, besteht dann nicht einfach die Option, sie über Steuerfreibeträge und das Kindergeld finanziell besser zu stellen, ohne ihre Wahlentscheidung zu beeinflussen?

Gerecht im Sinne der Gleichbehandlung wären nur zwei Optionen: Entweder der Staat stellt die direkte Subventionierung der Kitas ein und überlässt dieses Feld dem Markt – der dann sehr wahrscheinlich auch weniger am Bedarf vorbeibauen wird als eine staatliche Zentralverwaltung –, stattet die Familien aber zugleich finanziell so aus, dass eine echte Wahlfreiheit zwischen Heimerziehung und Betreuungseinrichtung besteht; oder er setzt die Subventionierung der Kitas fort, schafft aber für die Familien, die ihre Kinder selbst erziehen möchten, einen angemessenen Ausgleich. Genau das tut das Betreuungsgeld; und in der angepeilten Höhe tatsächlich nicht einmal ausreichend für eine echte Gleichstellung, sondern nur symbolisch.

Einzuwenden ist dagegen nur etwas, wenn man die Gleichwertigkeit der Lebensstile dann doch nicht anerkennen will und Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, für erstrebenswerter hält: weil das „moderner“ ist und die Gleichstellung der Frau befördert; weil das Humankapital so schneller wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht; und weil man so kontrollierbare Standards schafft und auch Kindern aus Familien mit eher schwach ausgeprägtem Bildungshintergrund eine gute frühkindliche Erziehung zuteil werden lassen kann.

Hier verlässt man allerdings das Feld des gesamtstaatlichen Interesses an ausreichend vielen und gut betreuten Kindern und begibt sich in den Bereich der Ideologie, in dem sehr viel engere Grenzen dafür gelten müssen, was auch eine gesellschaftliche Mehrheit auf dem Gesetzeswege zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen festschreiben lassen kann.

Erstens: Die echte Gleichstellung der Geschlechter mag ein erstrebenswertes Ziel sein, sie ist sogar im Grundgesetz als Pflicht des Staates festgeschrieben. Aber sie ist ein Ziel neben anderen; sie gestattet kein beliebiges Hineinregieren in den Bereich der Privatautonomie, seien es nun Firmenvorstände, denen Frauenquoten verordnet werden, oder seien es Familien, denen man halb mit Locken, halb mit Druck eine bestimme Lebensweise als Leitbild vorgeben will. Gesellschaftliche Änderungen benötigen ihre Zeit, manchmal mehrere Generationen, und lassen sich nicht in beliebiger Schnelle herbeizwingen. Die Gleichstellung der Frau ist eine Aufgabe von menschheitsgeschichtlichem Rang, gegen biologische und kulturelle Strukturen, die seit Jahrtausenden bestehen. Daran gemessen, sind wir in den letzten 150 Jahren erstaunlich weit gekommen. Frauen dürfen und können heute alles: Berufe ausüben wie Männer, wählen wie Männer, Politik betreiben wie Männer. Und sie tun es sehr erfolgreich; statistisch bislang zwar noch in geringerer Zahl als die Männer, aber immer stärker. Wir Europäer sind tatsächlich auf den letzten Metern des Weges zur völligen Gleichstellung; und die wenigen Schritte, die noch zu gehen sind, sind kein so großer Fortschritt mehr, dass ihre Beschleunigung massive staatliche Eingriffe ins Privatleben rechtfertigen würde.

Zweitens: Nach simpler volkswirtschaftlicher Rechnung mag es wünschenswert sein, dass Väter und Mütter nach ihrer Babypause möglichst rasch wieder in den Beruf zurückkehren. Nach simpler volkswirtschaftlicher Rechnung gilt Kindererziehung freilich generell nicht als „echte“ Arbeit, solange sie nicht bezahlt wird, und geht nicht in das Bruttosozialprodukt ein. Dennoch beeinflusst sie auf lange Sicht auch das Wirtschaftsgeschehen, sie bildet einen positiven externen Effekt, indem sie künftige Arbeitskräfte bereitstellt, so wie Umweltzerstörung einen negativen bildet. Beides taucht in der Wirtschaftsbilanz nicht auf – was aber eher gegen die Aussagekraft der Bilanz spricht als gegen die Existenz dieser Effekte. Ökonomische Fehlanreize lassen sich in diesem Fall nur dann vermeiden, wenn Kindererziehung und Umweltschutz ein so hohes gesellschaftliches Ansehen genießen, dass ihnen auch ohne direkten wirtschaftlichen Vorteil ausreichend Raum gegeben wird. Dass das im Fall der Kindererziehung nicht der Fall ist, kann man nicht nur an der Geringschätzung der Mütter am Herd ablesen, sondern auch an der gesellschaftlichen Stellung und Bezahlung von Betreuerinnen in Erziehungseinrichtungen. Es handelt sich um Arbeit zweiter Klasse, so oder so. Dem soll das Betreuungsgeld nun entgegenwirken; weniger durch den vergleichsweise niedrigen Geldbetrag, sondern durch die damit vermittelte gesellschaftliche Anerkennung.

Drittens und letztens: Die Kindererziehung in Betreuungseinrichtungen hat gewiss manche Vorzüge, aber sie generell als der Erziehung durch die Eltern überlegen einzustufen, geht nicht nur gegen alle historische Erfahrung, in der die Erziehung zuhause immer den Normalfall bildete, sondern auch gegen das Selbstwertgefühl freier Bürger. Es ist ein merkwürdiges Menschenbild, das aus all dem spricht: eine Demokratie, die von mündigen, engagierten Citoyens lebt, traut diesen ihren Bürgern nicht einmal zu, was ihr ureigenstes Vorrecht ist: die Erziehung der eigenen Kinder; und meint, eine staatliche Zentralverwaltung könne das besser. Es gibt eine sehr berechtigte liberale Urskepsis gegen einen Staat, der versucht, die vollständige Kontrolle über den Lebensweg seiner Bürger zu erlangen, von der Wiege bis zur Bahre; der sich das ganze Erziehungswesen unterwirft und damit auch die Vermittlung von Werten an die nachwachsenden Generation. Totalitäre Ideologien, von Platons Philosophenstaat bis hin zu den Parteikadern der im realexistierenden Sozialismus, haben genau diesen Weg beschritten, um Bürger im Geiste zu Untertanen zu formen. Es ein durchaus gesunder Akt der politischen Hygiene, wenn es Bereiche im Erziehungswesen gibt, die dem staatlichen Zugriff entzogen bleiben – durch private Bildungseinrichtungen und durch die intakte, autonome Familie.

Es mag Fälle geben, in denen Eltern ihre Erziehungsleitung nicht erbringen können – aus Krankheit, Armut oder weil sie mit wenig Bildung aus fremden Ländern kommen und in der Kultur, in der sie nun leben, isoliert sind; Fälle, in denen man fürchten muss, dass staatliche Gelder nicht dem Kindeswohl zugute kommen. Das mag es im Ausnahmefall rechtfertigen, Hilfsleistungen in Form von Gutscheinen auszuzahlen, obwohl auch das bereits eine Akt der Diskriminierung und ein Generalverdacht ist, unter dem auch die große Mehrzeit der intakten Familien leiden muss. Die vollständige Verstaatlichung der Erziehung aber rechtfertigt es in keinem Fall.

Es ist also nicht nur eine konservative, sondern bei genauem Hinsehen auch eine freiheitliche Forderung, die eigene Erziehungsleistung der Eltern zu stärken und durch gesellschaftliche Würdigung zu belohnen. Die einseitige Subventionierung von Betreuungseinrichtungen schadet einer echten Wahlfreiheit; Feminismus und Wirtschaftsinteressen bilden keine ausreichende Grundlage, um ein bestimmtes Familienbild zu bevorzugen; und eine übermäßige Verstaatlichung des Erziehungswesens ist kein Segen für eine freiheitliche Demokratie.


...mehr Lesen in den akademischen Blättern oder ganze Ausgaben als PDF?


Jetzt hier kostenlos Anmelden