Gute Blasphemie, böse Blasphemie

Papst-Beleidigung, Pussy Riot, Mohammed-Schmähfilm: ähnliche Beleidigungen von Kirchen und Gläubigen führen zu sehr unterschiedlichen Reaktionen in Politik und Medien. Solidarisierung hier, heftige Kritik und Distanzierung dort. Man kann lange umständlich nach Ursachen suchen, wird am Ende aber stets bei zwei sehr offensichtlichen ankommen: einer antichristlichen Schieflage in der Berichterstattung – und dem Weichen vor blanker Gewalt.


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kreuzigungJüngst las ich in einem Kommentar über die neueste, man weiß nicht wievielte Welle des Aufruhrs, die anlässlich des mutmaßlich aus Amerika stammenden mohammedkritischen Videos durch die islamische Welt schwappte, so sei es eben mit den Gläubigen aller Religionen: Leicht seien sie gereizt und gewaltbereit, nicht fähig zur Toleranz und zum Umgang mit der freien Meinungsäußerung. Im Grunde sei es da egal, ob man an konservative Katholiken, orthodoxe Juden oder radikale Muslime gerate, immer verhielten die „Theisten“ sich gleich. (Diese Art Äquidistanz, die sich in gleichmäßiger Verachtung für alle Religionen ausdrückt, gilt im liberalen Großstadtmilieu heutzutage als Aufgeklärtheit.)

Natürlich sieht jeder mit Augen, dass dieser Unfug nicht stimmt. Er gilt nicht einmal für die Mehrheit der gläubigen Muslime. Aber er gilt doch für die einzelnen Religionen heute – zu Luthers Zeiten mag es anders gewesen sein – in sehr unterschiedlicher Weise. Wo war beispielsweise, als die angeblich satirische Zeitschrift „titanic“ vor einigen Monaten ihre Titelseite mit einem inkontinenten Papst brachte („Vatileaks – undichte Stelle gefunden“), die Welle des Aufruhrs? Wo waren die Gewaltaufrufe katholischer Priester, wo die Morddrohungen gegen die Redaktion, wo die Brandanschläge auf die deutsche Botschaft in Mexiko, Brasilien, Burundi und anderen katholischen Ländern? Einige kritische Kommentare in den kirchenfreundlichen Medien gab es und ein Naserümpfen hier und da – mehr nicht. Der Vatikan musste sich sogar mangelnde Souveränität vorwerfen lassen, als er von seinem Recht Gebrauch machte und – mit Erfolg – vor Gericht einen Unterlassungsbefehl erwirken konnte.

Niemand weiß, wie viele Bibeln jährlich auf der Welt verbrannt, wie viele Kreuze geschändet, wie oft Jesus Christus und die christlichen Kirchenführer geschmäht werden. (Schärfer gesagt: Kaum jemand auch interessiert sich für die vielen Christen, die ihres Glaubens wegen verfolgt und getötet werden; nur die großen Mordtaten in Nigeria mit Massakern in ganzen Dörfern schafften es in diesem Jahr vorübergehend auf die hinteren Seiten unserer Presse.)

Warum? Die Antwort ist banal: Weil die Christenheit nicht jedes Mal einen Aufstand veranstaltet; allenfalls gibt es dann eine kritische Predigt von Kardinal Meißner („der Ajatollah vom Rhein“), die man mehr belustigt als betroffen zur Kenntnis nimmt. Während allein ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat, Karikaturen oder ein Video, die kaum jemand gesehen hat, oder auch nur ein Gerücht dazu genügt, den Mob in Kairo, Tunis und Tripolis zu Gewalt und Mord zu treiben. (Übrigens randaliert der Mob keineswegs nur in Ländern, in denen die „Arabellion“ die alten Autokratien hinweggefegt hat. Gewiss ist in der Anarchie nach Revolutionen die Gefahr für ethnische und religiöse Minderheiten immer besonders groß, weil lang aufgebaute – und von der alten Obrigkeit sorgsam gepflegte – Spannungen sich abrupt entladen; aber auch in Diktaturen wird dem Volkszorn gegen äußere Feinde oder innere Minderheiten gerne freier Lauf gelassen, wenn es den Interessen der Herrscherclique dient. Autokraten bieten immer nur vorübergehenden Schutz für geduldete Minderheiten.)

Gleiche Ursache, verschiedene Wirkung

Aber eigentlich interessant an diesem Phänomen ist nicht die primitive Gewalt der Randalierer – ihrerseits eine kleine Minderheit unter den Muslimen. Interessant ist unsere Reaktion darauf – unsere, das heißt unserer Politiker und unserer Leitmedien. Denn Blasphemie ist durchaus nicht gleich Blasphemie; es kommt immer darauf an, wo und gegen wen sie verübt wird.

Die anarchistische Punkband Pussy Riot zum Beispiel, die zuletzt weltweite Berühmtheit erlangte, unterscheidet sich in dem, was sie objektiv tat, nicht sehr stark von den Machern des nun aufgetauchten Mohammed-Videos. Die Aktivistinnen entweihten die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau mit einem obszönen Auftritt, bezeichneten den Patriarchen als Hund, der an Putin glaube statt an Gott, und die orthodoxe Geistlichkeit als „göttlichen Dreck“. Randalieren in einer Kirche, Blasphemie, Beleidigung des Staates: alles Dinge, die auch bei uns unter Strafe stehen (wenn es auch gewohnheitsmäßig üblich geworden ist, solche Vergehen gar nicht oder nur noch sehr nachsichtig zu verfolgen).

Und die Reaktion? Im einen Fall: weltweite Solidarität bis hinauf zu den Regierungschefs, die Forderung nach Freilassung im Namen der Meinungsfreiheit; im anderen Fall: eilige Distanzierung von dem verantwortlichen „Wirrkopf“, scharfe Kritik an dem Video, dessen genauen Inhalt kaum jemand kennt, die Forderung nach strafrechtlicher Verfolgung (die nach amerikanischem Recht freilich kaum möglich sein dürfte) – bis hin zur Diskussion um Aufführungsverbote.

Gewiss, es gibt theologische Rangunterschiede zwischen den aufgezählten blasphemischen Akten: eine Moskauer Kirche ist nicht Mekka, der Patriarch ist nicht der Papst und jener nicht der Prophet; aber allzu viel davon hermachen sollte man nicht, zumal die durchsäkularisiere westliche Öffentlichkeit für solche Nuancen längst jedes Gespür verloren hat.

Das Weichen vor blanker Gewalt

Viel gewichtiger sind zwei andere Unterschiede. Einmal macht es einen Unterschied, wen man beleidigt: Muslime oder Christen. In gewisser Weise kann man diese Differenzierung sogar sympathisch finden. Die Muslime sind eine Minderheit in Europa und Amerika, in der Regel zugewandert, häufig noch halb fremd in ihrer neuen Heimat, leben vielfach in schwierigem sozialen Milieu; mit ihnen geht man pfleglicher um. Überdies sind Europa und Amerika, „der christliche Westen“, wirtschaftlich und politisch mächtig, die islamischen Länder dagegen zumeist ohnmächtig und mehr Objekt als Subjekt der Weltpolitik. Mitleid mit den Schwachen – kein unsympathischer Zug. Freilich mit verzerrtem Eindruck; wirklich „christlich“ sind Europa und Amerika nur noch sehr begrenzt, Kirche heißt nicht mehr automatisch „oben“ in der Gesellschaft, verbündet mit der Regierung wie in Zeiten des Bündnisses von Thron und Altar; und auf anderen Kontinenten sind sehr viel öfter Christen als Muslime das Opfer religiöser Verfolgung. Ferner ist es nicht gerade ein Zeichen einer Partnerschaft auf Augenhöhe, wenn man Muslime „schonender“ behandelt als Christen, denn es heißt auch: wirklich für voll nimmt man sie nicht.

Und ein zweiter Punkt. Man muss nicht um sein Leben fürchten, wenn man das Christentum beleidigt. Der Vatikan klagt vor allenfalls vor Gericht; Machtmittel hat er keine. Kirchenfreund Putin, der sie hätte, wird sie nicht einsetzen; weder seinen mächtigen Militärapparat noch geheime Mordkommandos wird er in Marsch setzen, um seinen oder des Patriarchen Kritikern im Westen den Garaus zu machen. Dass Papst oder Patriarch eine Art Fatwa verhängten und zu offenen Gewaltakten gegen jene aufriefen, die ihre Kirche beleidigten, ist nun eine vollends lächerliche Vorstellung; weder läge das auch nur innerhalb ihrer Denkmöglichkeiten, noch gäbe es genügend christliche Fanatiker, die ihnen folgten. Eine Unterlassungsklage im Westen, einige Jahre Arbeitslager in Russland, das droht den eigentlichen „Tätern“; jenen, die sich mit ihnen solidarisieren, droht gar nichts. Jeder Redakteur, der Familie hat, wird sich dagegen gut überlegen, ob er Mohammed-Karikaturen oder Filmausschnitte in seinem Medium präsentiert. Islamkritische Künstler, Kabarettisten und Karikaturisten spielen mit ihrem Leben; Salman Rushdie, Theo van Gogh, Kurt Westergaard sind nur die prominentesten Namen auf der Todesliste. Und jede Veröffentlichung dieser Art bringt Unbeteiligte in islamischen Ländern und westliches Botschaftspersonal in Gefahr.

Deshalb ist es nicht feige, sondern höchst rational, wenn man vor der Gewalt zurückweicht. Nur führt es eben zu einer Ungerechtigkeit, wenn man dann umso schärfer gegen Christen und andere friedliche Gläubige polemisiert. Meinungsfreiheit und Schutz der Religion sind zentrale Werte freier Gesellschaften; sie auszutarieren ist nicht immer einfach. Das amerikanische Modell räumt der Meinungsfreiheit sehr weiten Raum ein, verfolgt Beleidigungen, auch persönliche, ganz irreligiöse, strafrechtlich nicht; während in Deutschland sowohl die persönliche Beleidigung als auch die Blasphemie von alters her strafbewehrt und hier von den Gerichten regelmäßig schwierige Abwägungen zu treffen sind. Man mag nun darüber streiten, welcher Ansatz der bessere ist. Aber gleich welchen man wählt: Er muss konsequent angewendet werden und für alle gleichermaßen. Wer sich also nicht getraut, den Propheten zu karikieren, der möge auch von Papst und Heiland seine Finger lassen.


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