Hermann Ehlers: „Das ermordete Fest“

In einem Lexikon lese ich: „Advent, Zeit der Vorbereitung, Anfang des Kirchenjahres, hat den Charakter ernster Buße, doch auch freudiger Erwartung.“ Ja, das haben wir alle gelernt. Aber nun sehen wir uns diese Zeit vom ersten Sonntag des Kirchenjahres bis zum 24. Dezember einmal an. Jetzt kommen die Weihnachtsbäume auf den Markt, sie stehen auf

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In einem Lexikon lese ich: „Advent, Zeit der Vorbereitung, Anfang des Kirchenjahres, hat den Charakter ernster Buße, doch auch freudiger Erwartung.“ Ja, das haben wir alle gelernt. Aber nun sehen wir uns diese Zeit vom ersten Sonntag des Kirchenjahres bis zum 24. Dezember einmal an. Jetzt kommen die Weihnachtsbäume auf den Markt, sie stehen auf den Balkons und warten darauf, daß sie zum Heiligabend geschmückt werden. Aber jeder tüchtige Geschäftsmann besorgt sich auch einen, schmückt ihn möglichst bunt, stattet ihn mit elektrischen Pseudokerzen aus und stellt ihn in seinen Laden oder sein Schaufenster. Warum? Nicht um die Botschaft der Christnacht zu verkünden, sondern um seinen Umsatz zu erhöhen. Das ist ein durchaus legitimes Anliegen. Aber muß man dazu den ganzen Glanz, den der Heilige Abend den Alten und den Jungen bringen soll, vorwegnehmen?

Doch die Technik bietet noch andere Möglichkeiten. Schallplatten und Lautsprecher müssen heran. Die Weihnachtslieder, jedenfalls die, die landläufig als solche bekannt sind, von der „Stillen Nacht“ bis zu „O Tannenbaum“, müssen herhalten, um die weihnachtliche Stimmung zu verstärken. Schallplatten und Rundfunkapparate, Spielwaren und Hüte, Kaffeegeschirre und Krawatten verkaufen sich besser, wenn sie unter weihnachtlichen Klängen dargeboten werden. Die Städte und Gemeinden lassen sich auch nicht lumpen und stellen große Weihnachtsbäume auf öffentlichen Plätzen auf. Und nun beginnt erst der ganze Rummel um das angeblich stillste und schönste Fest des Jahres. Kein Verein der es nicht zur Ehre anrechnet, irgendein Weihnachtsvergnügen zu veranstalten! Entweder man ißt einmal zusammen gut und benutzt dazu die zeitgerechten Karpfen, oder man tanzt ein Weihnachtskränzchen um den brennenden Weihnachtsbaum. Und damit man strahlende Kinderaugen und ein beruhigtes Gewissen auch nicht vermißt, verbindet man das mit einer Kinderbescherung, von der – damit es auch hinreichend bekannt wird – die Presse dann ein Bild veröffentlicht.

Ist das alles zu bitter gezeichnet? Nein, es ist nur ein Teil der nackten Wahrheit. Hier wird ein Fest mit weihnachtlich illuminierten Straßen, mit kupfernen, silbernen und goldenen Sonntagen, mit besonders günstigen Weihnachtsangeboten, mit verkleideten Weihnachtsmännern regelrecht mit Vorsatz und Überlegung getötet.

Im Zeitalter Hitlers hat man dann noch einen letzten Trumpf auf diesen ganzen Betrieb gesetzt und die Feier der „deutschen Volksweihnacht“ daraus gemacht. Dichter und Komponisten – wo hätten sie je versagt! – mußten sich ans Werk machen und die neuen Volksweihnachtsgesänge konstruieren. Es ist ja noch nicht so lange her, als an zahllosen Stellen befehlsgemäß „Christ, der Retter, ist da“ nicht mehr ertönen durfte und dafür die „Hohe Nacht der klaren Sterne“ besungen wurde. Kritisieren wir heute nicht zu billig die Leute, die diese letzte Umwandlung des Christfestes zu einer völkischen Feier damals versucht haben. Goebbels hat sicher etwas davon gewußt, wie die sogenannte Christenheit dieses Fest sich selbst ausgehöhlt hatte und wie gering die Widerstandskraft gegen eine Beseitigung der letzten Substanz war. Damals haben sich die Menschen das Lied von der „Stillen Nacht“ und „O du fröhliche“ nicht nehmen lassen. Aber haben sie’s wirklich getan, weil sie noch wußten, was es um die Botschaft der Weihnacht war, oder nur deshalb, weil sie die vielen trauten und stimmungsvollen Erinnerungen nicht missen wollten, die mit all diesen Liedern verbunden waren? Man sehe sich doch einmal an, was so als Weihnachtspotpourri von den klavierspielenden Kindern gelernt wird, und überlege sich, was sich in dieser süßlichen Zusammenstellung eigentlich niederschlägt! Das Wissen um das, was auf den Feldern von Bethlehem und im Stall geschehen ist, bestimmt nicht! Wir sind so stolz darauf, daß etwa seit dem Dreißigjährigen Kriege der Tannenbaum mit seinen Lichtern als Christbaum sich bei uns und mehr und mehr auch bei anderen Völkern durchgesetzt hat. Manchmal ist man versucht, zu fragen, ob dieser baum und besonders der Tand, der an ihn gehängt wird, uns den Blick auf das Kind in der Krippe nicht verbaut hat. Niemand möchte ihn missen, aber die Leute, die ihn zuerst in Deutschland aufgestellt haben, haben ihn sicher als den unzulänglichen und bescheidenen Widerschein des Lichts verstanden, das von der Krippe ausgeht und das die größten der Maler der Erde immer wieder neu uns dargestellt haben. Wenn wir den Baum nicht so verstehen, dann sollten wir ihn beiseite werfen. Und jedenfalls sollten wir ihn nicht mehr zum Reklameinstrument entwürdigen.

Nichts gegen die Geschenke der Weihnacht. Man lese einmal nach wie Hans Seidel in „Leberecht Hühnchen“ diese fröhliche Betriebsamkeit auf den Berliner Straßen seiner Zeit am Christabend schildert, wo jeder sein Paket mit seinem Geschenk nach Hause trägt. Diejenigen, die diese Geschenke zuerst gemacht haben, wollten ja damit nicht irgend etwas ersetzen, sondern einen Abglanz der Freude hervorzuzaubern, der von dem Kind im Stall zu Bethlehem geschenkt wird. Und auch hier hat sich das bescheidene Hilfsmittel der rechten Freude rücksichtslos zum Mittelpunkt gemacht. Wer denkt denn bei den Geschenken, den kleinen und noch mehr den großen, die jetzt für Weihnachten vorbereitet werden, noch an den Anlaß dieses Schenkens?

Und die Kirche? Ist sie unbeteiligt an diesem ganzen Weihnachtsbetrieb? Sie ist es leider nicht. Jeder auch kirchliche Verein muß vor Weihnachten seine Feier haben, vom ersten Advent ab. Jeder Kindergarten und Kindergottesdienst muß vorher feiern, schenken und singen. Und die Pfarrer bringen es einfach nicht fertig, sich dem zu entziehen. Sie halten vier Wochen hindurch pausenlos Weihnachtsfeiern und Ansprachen. Und wenn sie dann den Heiligen Abend mit seinen Christvespern auch noch hinter sich gebracht haben, sinken sie, wenn sie zu Hause für die Ihren den Christbaum anzünden, müde in eine Ecke und sind froh, daß sie es einmal wieder überstanden haben. Es mag nicht an jedem Ort so sein, aber es ist leider die Regel. Hier hilft nur ein energisches Halt! Wer denn Weihnachten auch außerhalb des Christabends und der Feiertage feiern will, tue es in den Tagen nachher.

Wir sollten alle dazu helfen, daß das Christfest nicht immer mehr ermordert wird; es geht nicht nur ein Fest dabei zugrunde, sondern ein gut Teil der christlichen Substanz, die wir in diesen Zeiten nötiger brauchen als jemals zuvor. Uns ist befohlen, die Botschaft zu hören, wenn sie uns verkündigt wird, und dann wie die Hirten zu Krippe gehen in aller Schlichtheit und mit der Bereitschaft zu hören und zu behalten. Alles andere ist falsch und löst die Ordnung unseres Feierns auf.


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