Klartext

Peer Steinbrücks Italiener-Schelte war nicht der erste Fall, in dem Kritik am Verhalten der europäischen Südstaaten mit Verweis auf Diplomatie, demokratische Spielregeln und die Souveränität des Volkes inkriminiert wurde. Die Argumente werden aber auch durch permanente Wiederholung nicht besser. Man darf nicht nur kritisieren: Man muss.


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Es war schon lustig anzusehen, wie viele Verteidiger Signore Berlusconi plötzlich nördlich der Alpen gewann, als Peer Steinbrück ihn mit der klaren Kante, die ihn auszeichnet und die der Bürger doch angeblich wünscht, zum Clown stempelte. Die Auslassung des Kanzlerkandidaten ließ das politische Berlin sichtlich zusammenzucken und die Hauptstadtjournaille, die selbst sonst gerne eine spitze Feder zu führen pflegt, besorgt und betroffen fragen: Ist es denn überhaupt diplomatisch erlaubt, das politische Personal oder gar das Wahlverhalten eines anderen Volkes so herb zu kritisieren? Ist es denn demokratisch? Ist es denn klug?

Lassen wir die Klugheit vorerst beiseite; über sie kann man, je nach Einzelfall und kurz- oder langfristiger Perspektive, immer geteilter Meinung sein. Über Diplomatie und Demokratie aber müssen wir reden, denn sie werden stets bemüht, wann immer ein nordeuropäischer Politiker es wagt, über Regierungsführung und Wahlverhalten in den Schuldenstaaten des Südens deutlich sichtbar die Nase zu rümpfen.

„So äußert man sich nicht über das politische Personal eines befreundeten Staates“, reagierte verschnupft der italienische Staatspräsident, der Altkommunist Napolitano. In der alten Welt der souveränen Nationalstaaten tat man das tatsächlich nicht; in deren klassischer Phase, dem 19. Jahrhundert, hätte Steinbrücks Äußerung glatt eine Mobilmachung ausgelöst. Aber in dieser Welt leben wir nicht mehr, jedenfalls nicht in Europa. Die diplomatischen Regeln in einem Staatenbund sind andere, als sie zwischen Napoleon und Metternich, Bismarck und Gortschakow und Disraeli bestanden oder vielleicht heute noch zwischen Berlin und Moskau oder Washingon und Peking bestehen.

Der Streit über das italienische Wahlergebnis fällt nicht in den Bereich der Diplomatie, denn Deutschland und Italien sind füreinander nicht mehr Ausland in dem Sinne, wie sie es früher einmal waren. Er ist vielmehr Teil der gemeinsamen europäischen Innenpolitik, in der alles mit allem verwoben ist und mittlerweile italienische Wahlentscheidungen sehr direkte Auswirkung auf deutsche Steuergelder haben. Es ist dann eher so, wie wenn die bayerische Staatsregierung über den Berliner Finanzsumpf lamentiert, in den sie jedes Jahr über den Länderfinanzausgleich neue Milliarden hineinpumpt. Und selbstverständlich darf und tut sie das, mal mit mehr, man mit weniger Polemik gewürzt. Wer Freunde und Partner zu Gläubigern und Schuldnern macht – und genau das tut die Rettungsschirm- und Transferpolitik –, wird auch mit dem ruppigen Stil leben müssen, der natürlicherweise zwischen Nehmern und Zahlern in allen Lebensbereichen herrscht.

Ebenso wenig verfängt das demokratietheoretische Argument. Natürlich ist die Entscheidung des Wahlvolkes in einer Demokratie die oberste Instanz. Und wenn sie durch Einmischung anderer Staaten oder anonymer Kräfte – gern gebrauchtes Feindbild: „die Finanzmärkte“ – oder andere „Sachzwänge“ eingeschränkt wird, liegt darin ein Problem.

Nur: Was ist die Alternative? Die Verpflichtung der Nordstaaten oder der Kapitalmärkte, marode Haushalte grenzenlos und ohne Risikoaufschläge zu finanzieren? Die Sachzwänge zu leugnen, Mathematik zur Ideologie zu erklären oder die vulgärkeynesianische Mär zu verbreiten, mehr Schulden bezahlten sich durch verstärktes Wachstum am Ende immer selbst? Und zu schweigen, wenn die Wahlvölker des Südens blind den Populisten und Verschwörungstheorikern hinterherlaufen, die ihnen einflüstern, an ihrer eigenen Misere sei in Wahrheit Angela Merkel schuld?

Das ist dann reichlich lebensfern, nach dem simplen Motto: Wir machen uns die Welt, so wie sie uns gefällt. Wer Schulden hat, wird unfrei, das ist eine uralte Erfahrung. Auf die Souveränität des Wahlvolkes geben die Gläubiger dann nicht mehr viel. Es steht gleichsam unter Aufsicht, unter Vormundschaft, wie eine Einzelperson nach dem Offenbarungseid. Natürlich ist das undemokratisch. Aber wenn man diesen Gedanken beginnt, muss man ihn auch zu Ende denken. Damit wird die gesamte Verschuldungspolitik, vor allem, wenn es um Auslandsschulden geht, per se demokratiegefährdend. Und der Abbau der Verschuldung, so unbequem er kurzfristig ist, der einzige Weg zur Rückkehr in geordnete demokratische Verhältnisse.

Denn wer dauerhaft auf Pump lebt, verspielt seine Freiheit. Und muss dann auch damit leben, wenn sich Vertreter von Gläubigern und Bürgen ungefragt in seine internen Belange einmischen, durch freche Sprüche ebenso wie durch realen politischen Druck.


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