Königliche Hoheit

Päpste, Monarchen, Politiker: Alle Autoritäten bemühen sich um die Annäherung ans Volk, bis hin zu plumper Anbiederung. Am Ende wird es ihnen mehr schaden als nutzen. Respekt vor Institutionen gibt es nicht ohne hoheitliche Distanz.


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ludwig ii._querImmer wenn ein neuer Papst gewählt ist, kann man beobachten, wie schnell sich im Medienzeitalter ein Image bildet und verfestigt. Noch Anfang März kannte kaum jemand in Europa den Kardinal Bergoglio; wenige Tage nach der Wahl schon stand sein Ruf fest, der sich, wenn kein Wunder geschieht, auch nicht mehr ändern wird. Franziskus glauben wir alle zu kennen, den bescheidenen Papst der Armen.

Der Heilige Vater hat selbst einiges dazu beigesteuert, durch Demutsgesten, die über das, was unter christlichen Kirchenführern an bescheidener Selbstzurücknahme ohnehin Tradition ist, deutlich hinausgingen. Fahrten mit dem Bus, schwarze Straßenschuhe zur Soutane, Weiterwohnen im Gästehaus Santa Marta statt in den päpstlichen Gemächern, Verabschiedung der Gläubigen nach dem Gottesdienst per Handschlag, Besuch im Gefängnis am Gründonnerstag und Fußwaschung für Strafgefangene: Man kam in den ersten Wochen kaum mehr nach mit dem Zählen der Abweichungen vom höfischen Protokoll. Franziskus als Person haben die Gesten innerhalb und außerhalb der Kirche schnell beliebt gemacht.

Ob sie das Papsttum als solches am Ende beliebter machen werden, ist freilich eine ganz andere Frage. Denn die Bischöfe von Rom haben schon ein Jahrhundert der zeremoniellen Abrüstung hinter sich. Schon lange lassen sie sich nicht mehr mit Sänften durch den Petersdom tragen und verzichten auf ihre Krone. Demutsgesten nutzen sich ab; irgendwann erwartet man sie. Und fordert mehr. Als Benedikt XVI. hier und da einen Schritt zurück machte und manche zeremonielle Tradition wieder hervorkramte, die Tiara etwa, galt das, was fünfzig Jahre vorher selbstverständlich gewesen war, plötzlich als eitle Anmaßung. Je mehr die Päpste den Erwartungen der Egalitaristen innerhalb und außerhalb der Kirchenmauern entgegenkamen, desto heftiger wurde die Kritik an der Institution des Papsttums überhaupt, desto mehr erschien es dennoch aus der Zeit gefallen und desto stärker strebten die Landeskirchen nach Unabhängigkeit.

Volksnähe bedeutet nicht Popularität

Es gibt, sofern man so etwas überhaupt empirisch erheben kann, keine erkennbare Korrelation zwischen Volksnähe und Beliebtheit; mindestens gibt es zahlreiche Gegenbeispiele. König Ludwig II. von Bayern etwa, der einen extravaganten Lebensstil pflege, dabei chronisch soziophob war und sich vor seinem Volk versteckte, wurde nicht erst posthum eine Legende; schon zu Lebzeiten war er beliebt, und als er erst abgesetzt wurde und dann verstarb, waren Trauer und Entsetzen groß. Seinen Nachnachfolger dagegen, den bescheidenen und volksnahen Ludwig III., jagten die Revolutionäre vom Hof wie einen räudigen Hund.

Auch unter den demokratischen Politikern sind es nicht die besonders volksnahen, die zu großer Beliebtheit aufsteigen, verehrt werden von ihren Anhängern; die Menschen begeistern, denen man auch Fehltritte verzeiht, die so die Akzeptanz der politischen Kaste insgesamt erhöhen. Kennedy, vielleicht das berühmteste Beispiel des letzten Jahrhunderts, war ein Millionär mit einem Luxusleben, irischer Abstammung und katholisch und damit dem durchschnittlichen Amerikaner so fern wie nur denkbar. Und auch die deutschen Politiker der Nachkriegszeit, die Legende wurden, zeichneten sich auf mindestens einem Gebiet durch ausgesprochene Volksferne aus. Willy Brandt, dem eine ganze Generation junger Menschen an den Lippen hing, sah man, düsterer Grübler, der er war, die innere Entrücktheit selbst bei öffentlichen Auftritten an. Die markante Stimme und der gestelzte Stil an sich schufen schon Distanz zum Publikum. Franz Josef Strauß, Metzgersohn aus München, wiewohl er mit derben Sprüchen jederzeit ein Bierzelt zum Kochen bringen konnte, legte immer Wert darauf, seine Reden mit gelehrten Zitaten und lateinischen Aussprüchen zu schmücken, um seinen intellektuellen Rang zu wahren. Helmut Schmidt, kühler zwar, prinzipientreuer wohl auch, im Grunde aber ein ähnlicher Typus, stieg in den Rang eines politischen Säulenheiligen erst auf, als die intellektuelle Attitüde sich mit der natürlichen Würde des Alters verband. Richard von Weizsäcker hatte sie früher schon, durch Wuchs und Haltung, das schlohweiße Haar, vor allem aber natürlich durch den Adelstitel. Der Adelstitel war auch eines der Geheimnisse des bislang letzten deutschen Politikers, der für kurze Zeit, ehe er wie ein Komet am Himmel verglühte, in solche Höhen aufstieg, der Freiherr zu Guttenberg. Der gab zwar auch gerne einen frechen Spruch von sich; aber der Titel, der Familienhintergrund, das ganze Gebaren, die Brille, das Haargel, die verschachtelten Sätze, machten von vornherein unmöglich, dass er ganz eins wurde mit seinem Publikum. Nicht trotzdem, sondern gerade deswegen, weil er gleichsam geistig immer auf einem Sockel stand, war er beliebt; so beliebt, dass er, die Popularität im Rücken, entscheiden und durchsetzen konnte wie kein anderer und dass ihm seine Anhänger beinahe alles verziehen hätten. Auch die unglückliche Affäre um die Doktorarbeit hätten sie verziehen. Aber die Journaille tat es nicht.

Fehlender Respekt

Die Journaille ist überhaupt schuld an vielem. Freie Presse ist immer und überall ein Übel für die Akzeptanz der Eliten. In der Demokratie freilich ein notwendiges. Aber nicht alles, was in der Medienwelt üblich ist, ist unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Öffentlichkeit.

Es ist nicht notwendig, Politiker im Medienbetrieb,vorzuführen, sie gezielt in peinliche Situationen zu treiben, merkwürdige Vorgaben zu machen, wie dass bei Fernsehduellen keine Notizen mitgebracht werden dürfen, während die Herren Journalisten sich bei Fragen natürlich auf Papierberge stützen. Dass Konrad Adenauer als Bundeskanzler beliebt war, dürfte auch damit zusammenhängen, dass das Fernsehen damals noch nicht weit verbreitet war und man allenfalls Zusammenschnitte seiner Reden im Radio nachhören oder den Text in der Zeitung nachlesen konnte. Heute, da Reden live gesendet werden, da jeder Versprecher ausgiebig wiederholt und jeder Dialekteinschlag von sogenannten Kabarettisten mit Freude ausgeschlachtet wird, hätte man den großen Alten vom Rhein gewiss zur Witzfigur gemacht.

Auch demokratische Öffentlichkeit verträgt hoheitliche Distanz

Es ist nicht notwendig, dass, wenn Politiker sich an die Presse wenden, sie nicht die Presse in ihr Ministerium einladen, sondern sich physisch zu den Journalisten und in die „Bundespressekonferenz“ begeben müssen. Oder dass Fernsehinterviews in den Sendergebäuden stattfinden und hohe Politiker und Beamte dorthin pilgern statt die Journalisten zu ihnen. Die Journaille verkauft das als Zeichen demokratischer Gleichheit und als Gegensatz zur Hofberichterstattung. In Wahrheit dient es nur ihrer eigenen Eitelkeit.

Es ist nicht notwendig, Politiker mit dem Namen anzusprechen statt mit der Amtsbezeichnung, und wenn man den Namen verwendet, akademische Grade wegzulassen (was man bei Wissenschaftlern nie tun würde). Angela Merkel, Philipp Rösler, Guido Westerwelle, Hans-Peter Friedrich, Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière, Kristina Schröder, Peter Ramsauer, Johanna Wanka haben neben der Tatsache, dass sie dem Bundeskabinett angehören, auch gemeinsam, dass sie promoviert sind; Frau Wanka ist Professorin. Freilich muss man das schon nachlesen, denn in der Presseberichterstattung kommt der Doktortitel nicht vor (außer negativ, wenn das Heer der Hobbydenunzianten im Netz wieder einmal einen Politiker zum Opfer auserkoren hat und eine Dissertation nach Zitierfehlern durchleuchtet).

Die Politik spielt das Spiel mit, weil sie muss, und einzelne Politiker, von schmierigen PR-Beratern in die Irre geführt, tun sich dabei noch besonders hervor. Verlegen den politischen Diskurs vom Parlament in Talkshows und gebärden sich dort fürchterlich. Folgen jeder Medienmode, lassen sich ins 160-Zeichen-Korsett von Twitter zwängen oder beteiligen sich „volksnah“ in Forendiskussionen mit Wichtigtuern und Dummschwätzern auf Facebook auf erbärmlichem Niveau.

Dass Politiker unbeliebt sind wie nie und das Vertrauen dahinschwindet, hängt weniger mit der tatsächlichen Politik zusammen als mit dem Bild, das von ihr vermittelt wird, und den Respektlosigkeiten den handelnden Personen gegenüber, die sie gewiss zum Teil mitverschulden.

Die Egalitaristen leugnen das natürlich; wenn Gleichmacherei nicht zum Erfolg führt, ist für sie die logische Folge, dass man noch mehr Gleichmacherei braucht. Skandale, Intransparenz, Abgehobenheit, heißt es dann, seien schuld an der geringen Akzeptanz der Politik. Also muss jeder Aspekt des Politikerlebens öffentlich werden und jeder Fehltritt wochenlang breitgetreten. Dies Argument, mit Verlaub, hat die intellektuelle Konsistenz eines Kuhfladens. Alle diese Faktoren waren vor fünfzig Jahren auch und mehr noch als heute gegeben. Adenauer, Brandt, Strauß hatten alle ihre eigenen Skandale und ernteten doch mehr Zustimmung als all die mediokren Gestalten im Berlin von heute mit ihrer weißen Weste.

Verspätetes Rebellentum

Was es damals noch gab und heute nicht mehr, ist Respekt vor der Obrigkeit. Altes, wilhelminisches Erbe, mag man sagen. Unglücklich war es gewiss, als es eine echte, mächtige Obrigkeit noch gab und man Befehlen folgte ohne zu fragen. Aber das ist vorüber. Der Papst und die Könige und Fürsten in den europäischen Ländern, deren Geschichte glücklicher verlief als die der anderen und die keiner Revolution bedurften, diese verbliebenen Monarchen sind nurmehr moralische Instanzen ohne politische Macht; niemand ist gezwungen, ihnen zu folgen. Und die politisch Herrschenden sind in das Korsett des Rechts eingebunden und in regelmäßigen Abständen austauschbar; auch sie können nicht nach Belieben befehlen.

Wo Respekt nicht blinden Gehorsam bedeutet, wo Ehrerbietung vor dem Amt und Männermut vor Königsthronen sich nicht widersprechen, ist hoheitliche Distanz zwischen den Eliten an der Spitze und der Basis, sei es das Kirchenvolk oder das Staatsvolk, keine Gefahr. Wer Respekt vor der Institution zeigt, zeigt Respekt vor sich selbst; denn er ist Teil seiner Kirche, Teil seines Landes.

Dies setzt freilich zweierlei voraus. Dass die Basis und ihr selbsternanntes Sprachrohr, die Journaille, bereit sind, sich den Regeln ordentlichen Umgangs mit ihrer Obrigkeit zu fügen. Und dass umgekehrt die Personen an der Spitze genügend Achtung vor dem eigenen Amt haben und dem Erbe, das sie angetreten, um sich entsprechend würdevoll zu verhalten.


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