Lichtgestalt im Kreuzfeuer

Nein, er hat es wahrlich nicht einfach in diesen Tagen. Am Karfreitag fielen die ersten Soldaten in seiner Amtszeit; in der Folge tobte eine Debatte über die Ausrüstung und Ausbildung der Soldaten im Einsatz; Finanzlücken tun sich im Ministerium auf, große Rüstungsprojekte ziehen sich hin, drohen zu scheitern. Und nun holt ihn die Kunduz-Affäre mit der Ladung vor den Untersuchungsausschuss wieder ein. Karl-Theodor zu Guttenberg, in Deutschland unbestritten die politische Lichtgestalt des Jahres 2009, steht unter Beschuss. Erste sichtbare Folge: Die bisher phänomenalen Beliebtheitswerte bröckeln.


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Anmerken lässt sich der Minister nichts; sein adliges Gentlemanlächeln ist so strahlend wie eh und je; die Gelfrisur hält auch bei Gegenwind. Er mag geahnt haben, dass unruhige Zeiten auf ihn zukommen würden und dass das undankbare Verteidigungsressort ein Danaergeschenk der drei Parteivorsitzenden an ihn war, den Newcomer, der so plötzlich die politische Bühne betrat, für manchen zum Hoffnungsträger avancierte und für andere zur Konkurrenz. Krisen würden kommen mit diesem Ministeramt, das war klar. Dass es so schnell gehen würde, dürfte auch ihn freilich überrascht haben.

Nun also der Auftritt im Untersuchungssausschuss – nichtöffentlich, was aber kein Bonus ist für den fernsehgewandten Freiherrn. Die Aufklärung des eigentlichen Sachverhalts, also des Bombardements mit vielen, mutmaßlich auch zivilen Opfern – zwischen 17 und 142, so, großzügig schätzend, der entsprechende Nato-Bericht –, steht für den Ausschuss nicht mehr im Mittelpunkt, so merkwürdig das klingt. Guttenberg steht im Mittelpunkt; für ihn ist der Ausschuss seitens der Opposition als Tribunal gedacht. Ein Untersuchungsausschuss ist kein Gericht, das Strafurteile fällt; für das, was er aufdeckt, kann allenfalls politische, nicht juristische Verantwortung verteilt werden. Und „politische Verantwortung übernehmen“ kann in der Logik des politischen Betriebs nur, wer ein Amt hat und zurücktreten kann. Die Hauptakteure von damals sind aber schon längst nicht mehr im Amt: Franz Josef Jung nicht, der damalige Verteidigungsminister, ebenso wenig Frank-Walter Steinmeier als Außenminister; auch nicht Generalinspekteur Schneiderhan und der windige Staatssekretär Wichert. Die Deckung ist weggeschossen; nur Guttenberg ist noch da. Deshalb muss er herhalten; auch als Projektionsfläche für den kollektiven Unmut über einen Einsatz, in dem so wenig glücken will, und für ein Bombardement, das jeder am liebsten ungeschehen machen würde. Und deshalb beschäftigt sich nun ein ganzer Untersuchungsausschuss mit dem „Wer wusste wann was“, mit den feinen semantischen Differenzen zwischen „nicht vorgelegt“, „vorenthalten“ und „vorsätzlich unterschlagen“ und der Frage, ob die zusätzlichen Berichte denn einen Wechsel im Urteil von „angemessen“ zu „nicht angemessen“ rechtfertigen oder nicht – und die Entlassung ranghoher Mitarbeiter, die der Minister auch ohne Angabe von Gründen jederzeit hätte vornehmen können.

Die Frage, ob das den Kern der Sache trifft, ist durchaus erlaubt.

Der eigentliche Skandal liegt ganz woanders und ist weder ein militärischer noch ein ministerieller. Der 4. September hätte eigentlich ein Aufwachen bedeuten sollen – ein Aufwachen aus dem süßen, aber falschen Traum, nach dem die Bundeswehr in Afghanistan vor allem Brunnen bohrt und Mädchenschulen baut. Nein, es ist ein Kampfeinsatz, dort sterben Menschen; auch, wie in jedem bewaffneten Konflikt, unschuldige Zivilisten. Gegen dieses brutale Aufwachen stemmt sich das offizielle Deutschland bis heute; es möchte lieber weiterträumen. Selbst das neueste Afghanistan-Mandat ist getragen von diesem Wunsch. Mehr Soldaten, ja – aber nur mit einer diffusen „Abzugsperspektive“ und unter der Maßgabe, dass künftig weniger gekämpft und mehr ausgebildet wird und überhaupt ein „Strategiewechsel“ (der wievielte eigentlich?) hin zu einer „zivileren“ Vorgehensweise stattfindet. Die militärische Hauptarbeit überlässt man weiterhin gerne den Amerikaner, die massive Truppenverstärkung in die Region Kunduz verlegen, um dem zaudernden Verbündeten den Rücken zu stärken.

Die Rückfallgefahr ist stets präsent. Es ist ein mühsamer Weg vom jahrelangen Verschweigen und Beschönigen hin zu neuer Ehrlichkeit. Guttenberg hat das zaghaft versucht mit den Sprachregelungen von den „kriegsähnlichen Zuständen“, von „nichtinternationalem bewaffneten Konflikt“ und „umgangsprachlichem Krieg“ – so weit, wie es Staats- und Koalitionsräson und das herkömmliche Völkerrecht eben erlaubten. Bei der Trauerfeier in Selsingen sprach er nur noch von Krieg, ohne Zusatz. Nur Rhetorik, gewiss, aber immerhin Klartext. Das hatte vorher keiner gewagt und auch nur wenige seither. Guttenberg eilt voraus; die anderen folgen zögerlich. Die Debatte über den Einsatz hat sich dadurch merklich verschoben, und die Truppe ist Guttenberg für die Klarheit dankbar. Das politische Berlin eher nicht, gerade nicht die Fraktionen, die so mühsam um ihre Zustimmung zum Einsatz ringen und ihn nach innen wie nach außen erklären müssen. Das spürt er jetzt.

Freiherr zu Guttenberg, vor dem September 2008 noch einfacher Bundestagsabgeordneter und über den Fachzirkel der Außenpolitiker hinaus kaum bekannt, ist im Lauf des Jahres 2009 als Wirtschaftsminister zu Deutschlands beliebtestem Politiker und zu einer Art Hoffnungsträger mindestens für die eigene Partei aufgestiegen. Gewiss durch sehr viel Medienhype und im Kern unverdient. Sollten aus der Kunduz-Affäre und seiner minimalen Rolle darin für ihn eine echte Krise und ein Abstieg werden: Es wäre genauso unverdient.


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