Monarchie und Bürgerrechte

Zuletzt jährte sich der Todestag des Burschenschafters Ludwig von Mühlenfels zum 150. Mal. Porträt eines unbeugsamen Kämpfers für ein geeintes Deutschland.


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barrikadensturm frankfurt 1848Die deutsche Demokratiegeschichte des 19. Jahrhunderts kennt viele bedeutende Namen, von denen manche noch heute im Bewusstsein der Deutschen verankert sind: Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Daniel Bassermann, Karl Theodor Welcker, Friedrich Christoph Dahlmann, Johann Adam von Itzstein, Robert Blum, Heinrich von Gagern, um nur einige zu nennen. Nahezu in Vergessenheit geraten ist der Lützowsche Jäger, Burschenschafter und spätere 1848er Reichskommissar Ludwig von Mühlenfels (1793–1861). In Ludwig von Mühlenfels begegnet uns ein außergewöhnlicher Charakter: mutig, leidenschaftlich, von enormer Tatkraft, dabei unablässig für ein geeintes, freies Deutschland kämpfend.

Kampf gegen die französische Fremdherrschaft

Am 5. September 1793 wurde Ludwig von Mühlenfels als neuntes von zwölf Kindern einer 1729 geadelten Familie auf Gut Groß Kordshagen in Schwedisch-Vorpommern geboren. Schwedisch-Vorpommern, das seit dem Westfälischen Frieden von 1648 so hieß, war seit 1806 ständiger Zankapfel zwischen Schweden, Preußen und Frankreich, bis es schließlich auf dem Wiener Kongress 1815 endgültig Preußen zugeschlagen wurde. Die politischen Wirren der Freiheitskriege übten nachhaltigen Einfluss auf den jungen Ludwig aus und machten aus ihm einen patriotisch gesinnten, von leidenschaftlicher Begeisterung fürs Vaterland geprägten jungen Mann. In dieser Zeit erwuchs wohl auch der Wunsch in ihm nach einem starken, geeinten Deutschland, das seiner Meinung nach selbstverständlich nur eine Monarchie sein konnte. Sein Patriotismus war gesamtdeutsch ausgerichtet. Preußischer Patriotismus war den Schwedisch-Vorpommern eher fremd, hatten die Preußen doch oft genug in ihrem Land gewütet.

In unmittelbarer Nachbarschaft zu Gut Groß Kordshagen befand sich das Gutshaus der Familie Arndt. Ernst Moritz Arndt war ein willkommener Gast und zählte zum engeren Bekanntenkreis derer von Mühlenfels. Die Schriften Arndts und seines Schülers „Turnvater“ Jahn dürften großen Einfluss auf den jungen Ludwig ausgebübt haben.

Nach dem Tod seiner Mutter 1811 nimmt er ein Jurastudium in Greifswald auf und tritt in die studentische Verbindung „Pomerania“ ein. Alsbald folgt er dem Aufruf „An mein Volk“ Friedrich Wilhelms III. vom 17. März 1813, in dem dieser um Unterstützung im Kampf gegen Napoleon bittet. Ohne Wissen seines Vaters schließt sich Ludwig als Freiwilliger den Lützowschen Jägern an. Auf dem Weg dorthin wird er in Dresden von Ernst Moritz Arndt als Landsmann und „unseres alten Nachbarn Sohn“ begrüßt. Am 17. Juni wird er in einem Scharmützel bei Kitzen schwer verwundet. Nach kurzer Genesungsdauer schließt er sich zunächst den schwedischen Truppen an, bevor er im Oktober im Korps der Schwedisch-Pommerschen Freiwilligen an der Völkerschlacht bei Leipzig teilnimmt. Für seinen außergewöhnlichen Mut wird er mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet.

Teutsche Sitte, Gemeingeist und Vaterlandsliebe

1814 reist er nach Heidelberg, um dort sein Studium der Rechtswissenschaften fortzusetzen. Sehr bald bildet sich um ihn ein Kreis patriotisch gesinnter Studenten mit dem Ziel, „teutsche Art und Sitte, Gemeingeist und Vaterlandsliebe unter den Studenten zu wecken“. Er unterhält vielfältige Kontakte, u. a. zu den Gießener Schwarzen, einer radikalen Gruppe von Studenten um die Brüder Follen und Sartorius. Im Oktober 1817 nimmt er am Wartburgfest teil. In einer „merkwürdigen und zeittypischen Verkopplung von nationalem und protestantischem Geist“ (Thomas Nipperdey) wird der Reformation 300 Jahre zuvor und zugleich der Leipziger Völkerschlacht von 1813 gedacht. Lautstark ertönt die Forderung nach nationaler Einheit und konstitutioneller Freiheit, Verfassung und Repräsentation des Volkes, gegen den Partikular- und Polizeistaat und gegen die feudale Gesellschaft.

Mit 24 Jahren wird Ludwig von Mühlenfels als stellvertretender Staatsanwalt ans Kreisgericht Köln berufen. Neben seinem Beruf bleibt er weiter politisch aktiv. Als einer der führenden Vertreter der „Adressbewegung“ setzt er sich für die Einführung von landständischen Verfassungen ein, wie es die Bundesakte vorsieht. Damit soll die Grundlage für eine „wahre und würdige Volksvertretung nach wesentlich gleichen Grundsätzen in ganz Teutschland“ gelegt werden.

Sein Eintreten für Verfassung, Freiheit und Bürgerrechte wird ihm alsbald zum Verhängnis. Nach der Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue durch den Studenten Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 gewinnen die reaktionären Kräfte die Oberhand. Die Karlsbader Beschlüsse läuten das bleierne Zeitalter der Restauration ein. Burschenschaften werden verboten, die Verfassungsbewegung gestoppt und die als „Demagogen“ erkannten Feinde der bestehenden Ordnung verfolgt und drangsaliert. Für Ludwig von Mühlenfels beginnt eine jahrelange, zermürbende Auseinandersetzung mit Karl Albert von Kamptz, der „grauen Eminenz der Reaktion in Preußen“. Er wird verhaftet und in die Berliner Stadtvogtei überführt. Erst nach einem Jahr erfährt er, wessen er beschuldigt wird. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer hochverräterischen Verbindung vorgeworfen. Trotz allerlei Schikanen und mehr als sieben Monaten in Einzelhaft verweigert er jede Aussage. Nach fast zweijähriger Haft gelingt ihm in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1821 eine spektakuläre Flucht. Er schlägt sich nach Schweden durch, wo er bei Freunden und Verwandten unterkommt. Im Kerker hinterlässt er seinem Verfolger Kamptz einen Brief, in dem es heißt: „Nicht als wenn ich die Mißhandlungen, die ich während meiner Haft unter mittelbarer Direction und Einfluß des Oberregierungsraths Herrn von Kamptz erduldet habe, nicht fernerhin noch ertragen könnte, entziehe ich mich Ihrer Obhut, sondern weil ich nicht ferner der Gegenstand einer bösen Laune jenes gereizten Mannes sein will.“

Kampf um Rehabilitierung

Seine Hoffnungen, bald in die Heimat zurückkehren zu können, zerschlagen sich. Zunächst hält er sich in Schweden einige Jahre als Hauslehrer über Wasser. Im Juni 1828 übersiedelt er nach London, wo er einen Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur annimmt. Doch die Sehnsucht nach der Heimat bleibt. Endlich, im Mai 1829, wird er vom preußischen König begnadigt. Nach dem vollständigen Freispruch im September 1830 reicht er an der Universität London seine Entlassung ein und kehrt nach Deutschland zurück. Doch hat er die Rechnung ohne seinen alten Widersacher von Kamptz gemacht. Dieser legt ihm immer neue Steine in den Weg. Durch geschickte juristische Winkelzüge gelingt es von Kamptz mehr als fünf Jahre lang, die Widereinsetzung von Mühlenfels in eine seiner alten Position vergleichbare Stellung zu verhindern.

Einen Ausgleich für die Strapazen im Kampf um seine Rehabilitieurung sucht von Mühlenfels im Privatleben. Besonders enge Freundschaftsbande knüpft er mit dem Theologen Friedrich Daniel Schleiermacher und dem Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy (dieser besuchte ihn bereits als 10jähriges Kind im Gefängnis in Berlin). 1841 übernimmt er die Patenschaft für Mendelssohn Bartholdys Sohn Paul, im Sommer desselben Jahres unternehmen beide eine gemeinsame Reise von Dresden nach Tharandt.

1843 heiratet der inzwischen 50jährige die 30 Jahre jüngere Luise Gutike aus Halle. Zwei Jahre später kommt Sohn Otto zur Welt. Durch den weitläufigen Verwandten- und Bekanntenkreis der Familie Gutike kommt er in Kontakt mit zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit, wie dem Historiker und Politiker Max Duncker und dem Dichter Georg Herwegh.

Im Sog der Revolution

Während der stürmischen Geschehnisse des Jahres 1848 befindet er sich in Greifswald, wo er eine Stelle als Richter am Oberappellationsgericht angetreten hat. Schnell gerät er in den Sog der revolutionären Ereignisse. Er tritt dem Konstitutionellen Club bei, dessen Ziel es ist, „die politische Einsicht unter seinen Mitgliedern zu fördern, deren politische und deutsche Gesinnung zu kräftigen und auf die Mitbürger zur Entwickelung volksthümlichen, socialen und staatlichen Lebens im constitutionellen Geiste einzuwirken“. Beharrlich und leidenschaftlich verfolgt er das Ideal eines geeinten Deutschlands im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie. Mühlenfels grenzt sich dabei entschieden von den radikal-demokratischen Kräften ab, deren Mittel ihm nicht angemessen erscheinen. Anarchie und Gewalt sind ihm ein Dorn im Auge. Stets fürchtet er, „daß die vaterländische Sache von unreifen und rohen Händen entweiht und gefährdet werden könnte“. Als Vertreter eines gemäßigten Liberalismus ist er zugleich entschiedener Gegner der erzkonservativen Kräfte. „Itzt gilt es nach beiden Seiten Front zu machen“, schreibt er in einem Brief an seine Frau. Zuerst müsse man den Linken den Garaus machen, dann könne man sich gegen die Reaktion wenden.

Als die Wahlen zur Frankfurter Paulskirche anstehen, bewirbt er sich als Abgeordneter für den Kreis Naumburg in der preußischen Provinz Sachsen. Trotz seiner mutigen Taten während der Befreiungskriege und seiner unbeugsamen Haltung in der Zeit der Demagogenverfolgung schlägt ihm einiger Widerstand entgegen. Insbesondere seine königstreue Haltung und sein Eintreten für ein indirektes Wahlrecht werden ihm von demokratischer Seite zum Vorwurf gemacht. Auch die Unterstützung Friedrich Ludwig Jahns gereicht ihm nicht mehr zum erhofften Erfolg. In einer turbulenten Versammlung der Wahlmänner am 10. Mai erhält August Reinstein, sein ehemaliger Kollege am Oberlandesgericht Naumburg, die absolute Stimmenmehrheit.

Am 18. Mai 1848 tritt die Frankfurter Paulskirche zusammen. Nachdem die Nationalversammlung am 16. September den von Preußen geschlossenen Waffenstillstand mit Dänemark billigt, kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen. Eine aufgebrachte Menge versucht in die Frankfurter Paulskirche einzudringen. Parlamentsabgeordnete der Rechten, General Hans von Auerswald und Fürst Felix von Lichnowsky, werden vom Mob gelyncht. Daraufhin entschließt sich die Zentralgewalt zu einem harten Vorgehen gegen die radikalen Kräfte. In den betroffenen Gebieten werden Reichskommissare eingesetzt „zum Behufe der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung und der Herrschaft der Gesetze in diesen Ländern“. Kurz darauf wird Ludwig von Mühlenfels vom Reichsminister des Innern Anton von Schmerling zum Reichskommissar für die thüringischen Staaten bestellt. Durch sein rigoroses und zugleich umsichtiges Vorgehen gelingt es von Mühlenfels binnen weniger Wochen, die aufständischen Regionen zu befrieden. So konsequent er auch gegen die Aufständischen vorgeht, achtet er doch penibel auf die Sicherung der vom Volk errungenen Rechte. In einem von ihm verfassten Aufruf an die Bevölkerung Thüringens heißt es: „Feind alles wühlerischen, die Autorität aller Gesetze untergrabenden Treibens – mag es im Sinne der Reaction, mag es unter dem Vorwande des Republicanismus genährt werden – werde ich jeden Angriff auf wahre Volksfreiheit zurückweisen“. Eindringlich mahnt er zur Geschlossenheit: „Die Unterstützung der Patrioten darf meiner Aufgabe nicht fehlen; jetzt oder nie wird die Einheit Deutschlands gelingen; Sondergelüste müssen verstummen, damit der Ausbau der deutschen Freiheit und Einigung gelinge.“

„Meine Last ist groß, größer noch mein Muth“

Mühlenfels erlegt sich ein enormes Arbeitspensum auf, schont sich und seine Gesundheit nicht. „Des Nachts wird gefahren, am Tage geredet, geschrieben und geordnet. Meine Last ist groß, größer noch mein Muth”. Als sein Versuch, für die acht thüringischen Staaten ein Gesamtministerium und einen Gesamtlandtag zu schaffen, an den partikularen Sonderinteressen scheitert, stellt er ein Gesuch zur Abberufung als Reichskommissar, dem schließlich stattgegeben wird.

Weitere Enttäuschungen folgen. Mit der Ablehnung der Kaiserwürde durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. am 28. März 1849 zerstieben seine letzten Hoffnungen, der „Monarch möge nicht durch Zaudern und Zagen die Zukunft Deutschlands aufs Spiel setzten”. Seinem bisherigen politischen Credo treu, verurteilt er gleichzeitig scharf den Versuch der radikalen Demokraten, die Reichsverfassung mit Gewalt durchzusetzen. Es sei ihm „gar nicht unrecht, daß die Reaction sich Mühe giebt, den Rothen die Köpfe zu waschen. Diese Sorte muß erst ausgerottet werden, ehe der Kampf gegen die Reaction durchgeführt werden kann.”

In seinen letzten Lebensjahren zieht er sich mehr und mehr aus der Politik zurück. Er widmet sich nun verstärkt seinem Beruf und seiner Familie und nimmt nur noch vereinzelt an öffentlichen Veranstaltungen teil. Am 14. Juni 1861 stirbt er nach kurzer, schwerer Krankheit. Seine letzte Ruhestätte findet er auf dem Friedhof der Greifswalder Marienkirche.

 

Zum Weiterlesen:

Martin Herzig: Ludwig von Mühlenfels (1793–1861), Vom Lützowschen Jäger, Burschenschafter und verfolgten Demagogen zum liberalen 1848er Reichskommissar. In: Schmidt, Walter (Hrsg): Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848, Band 3, Fides Verlag Berlin 2010, 788 S., 68,50 Euro. ISBN-13: 978-3931363154

Martin Herzig: „Ich hab’s gewagt!” Das Leben des Ludwig von Mühlenfels (1793–1861), Nora Verlag 2009, 208 S., 19,90 Euro. ISBN-13: 978-3865571854


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Stefan Martin

geb. 1979, Ingenieur, VDSt Freiberg.

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