Piraten

Als sich vor dreißig Jahren die bundesdeutschen GRÜNEN in Karlsruhe zu einer Partei zusammenschlossen, gab es Stimmen, die einer Partei mit nur einem Anliegen keine lange Dauer prophezeiten: Mit Umweltpolitik allein lasse sich kein Staat machen. Das war auch gar nicht das Anliegen der ersten Grünen. Vielmehr ging es darum, auf Misstände hinzuweisen, gesellschaftliche Fehlentwicklungen von großem Maße. So versuchten die Grünen, die Ausbeutung der Umwelt, die Probleme der Aufrüstung und die nach wie vor bestehende Diskriminierung der Frau zu thematisieren und dadurch Änderungen herbeizuführen.


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Man mag sich streiten, inwiefern es den GRÜNEN in ihren dreißig Jahren Bestand und nach einigen Jahren Regierungstätigkeit in Bund und Ländern gelungen ist, hier mitzuwirken. Eine Politik wie in den Siebzigern jedenfalls haben wir eindeutig hinter uns, und Umweltschutz, Friedenspolitik und gesellschaftliche Gleichheit findet sich – in unterschiedlichen Ausprägungen – in fast jedem Parteiprogramm Europas.

Anders ist dies bei den Piraten. Die erste Partei dieser Art wurde vor mittlerweile vier Jahren in Schweden gegründet, und die Idee wurde in anderen Ländern aufgegriffen, so auch Österreich und Deutschland. Mittlerweile ist daraus eine globale Bewegung geworden, die sich unter dem Dachverband Pirate Party International für ihre Ziele einsetzt. Diese sind klar umgrenzt: der Austausch kultureller, geistiger Güter soll so offen und einfach wie möglich gehandhabt werden (Reform des Urheberrechts); jeder Mensch soll das Recht haben, auf Informationen über ihn frei zuzugreifen und verfügen zu können (informationelle Selbstbestimmung); jeder Mensch soll in möglichst direkter Weise am politischen Geschehen teilnehmen und staatliches Tun kontrollieren können (direkte Demokratie). Die Piratenparteien wollen ausdrücklich ihre Programmatik zunächst auf die genannten Punkte beschränken, die wir der Kürze halber hier als „angemessener Umgang mit Information“ bezeichnen wollen. Impliziert in den ausdrücklichen Forderungen der Piraten sind einige weitere. So wird ohne ein solides Bildungssystem keine Produktion und damit kein Austausch an Kulturgütern möglich sein können. Auch ist jedem Bürger, wenn er mitbloggen oder -twittern will, Zugang zum Internet zu verschaffen. Der Schutz der Privatsphäre und die Gefahr des Datenmissbrauchs erfordern eine Aufsicht.

Vor allen Dingen fordert eine Demokratie Zeit und Muße. Die Bürger antiker Sklavenhaltergesellschaften hatte diese. Für einen attischen Demokraten war es nicht schwierig, sich auf der Agora einzufinden, und der römische Republikaner konnte sich den ganzen Tag in Foren unterhalten. Während wir die Begriffe übernommen haben, findet sich doch heute ein ganz anderer Inhalt. Und genau hier beginnt die Schwierigkeit.

Die Piratenpartei möchte, so verstehe ich sie, dass der Einzelne bzw. Informationen über ihn so privat wie möglich gehandhabt werden, während alle öffentlichen Informationen so zugänglich wie möglich sein sollen. Wo allerdings findet sich diese Grenze?

Informationen und Berufsleben

Angesichts der heutigen Lage auf dem Arbeitsmarkt werden selbst hochqualifizierte Menschen versuchen, sich möglichst gut zu verkaufen. Was vage Assoziationen an Sklaverei und Prostitution weckt, ist niemandem zum Vorwurf zu machen, da oft nur rein äußerliche Eindrücke über eine Einstellung entscheiden können. Umso besser, wenn jemand seine Urlaubsfotos vom Vollrausch am Strand oder seine Unterschriftensammlung gegen Moscheenbau ins Netz stellt: Solche öffentlichen Informationen können dem Personalchef die eine oder andere Entscheidung erleichtern. Wer sich selbst der Öffentlichkeit so präsentiert, darf sich über die Folgen nicht wundern.

Informationen und Bequemlichkeit

Es ist schon praktisch, wenn man mir Kataloge von Dingen zuschickt, die ich tatsächlich gebrauchen könnte, sich die Internet-Suchmaschine an meine Interessen anpasst und ich nicht jeder Behörde alle Angaben erneut machen muss. Es ist klar, dass ich dadurch für andere kalkulierbarer werde. Gleichzeitig schränkt sich auch der Rahmen meiner Möglichkeiten ein, weil mir weniger Optionen zur Verfügung stehen und es schwieriger wird, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen. Dennoch gibt ein beträchtlicher Teil der Bürger gerne viele Informationen preis und regelt auf möglichst bequeme Weise weite Bereiche des Lebens. Ich muss nichts erklären, man kennt mich schon, vieles geht automatisch und routiniert.

Informationen und Politik

Die Diskussionen um die „Tätervolk“-Rede des damaligen MdB Martin Hohmann (2003) oder die „Regensburger Vorlesung“ des Papstes (2006) zeigen, genau wie heutige Diskussionen etwa um den Atomausstieg, dass zwar alle relevanten Informationen bereits öffentlich zugänglich sein können, aber dennoch selektiv damit gearbeitet wird. Wer sich selbst dem Umgang mit Informationen nicht gewachsen fühlt, vertraut sich den sogenannten Journalisten an und greift auf Medien zurück, die möglichst breit und zugänglich sind. Dahinter wird eine gewisse Seriosität vermutet, die vor Einseitigkeiten und Eklektizismus in der Darstellung schützen soll. Das allerdings auch hier Lobbyisten am Werk sind, brauchen diese gar nicht zu verschweigen. Auch diese Information ist öffentlich zugänglich.

Informationen und Sicherheit

Wie die Bundesregierung 2004 zugeben musste, hatte Rasterfahndung keinen Erfolg, als es um Drahtzieher der Anschläge in New York ging. Hier konnten noch so viele Daten verfügbar sein. Ähnlich verhält es sich mit videoüberwachten öffentlichen Plätzen und Verkehrsmitteln, die auch nur marginale Sicherheitszugewinne brachten, oder der bereits stattfindenden Überwachung von E-Mail- und SMS-Verkehr. Vielleicht möchten ermittelnde Behörden auch gar nicht preisgeben, wie unglaublich effektiv diese Verfahren sind; zu sehen ist nur ein teurer Verwaltungsapparat dahinter.

Informationen und Geld

Wie sich auch an der Problematik einer Schweizer CD mit Finanzdaten zeigt, bei der die deutsche Bundesregierung für 2,5 Mio. Einsatz 100 Mio. Gewinn erwirtschaften will: In den meisten Fällen ist das Interesse an uns pekuniärer Natur. Wollen wir uns darauf einlassen – aus oben genannten Gründen – brauchen wir uns nicht wundern, dass unsere Daten nicht nur zu unserem Vorteil genutzt werden.

Informationen und Bildung

Hier spricht die Piratenpartei ein Feld an, das auf Seiten der Studentenschaft schon bestellt ist: Freier Zugang zu Informationen jedweder Art, ob wissenschaftlicher Aufsatz, Musik oder andere Unterhaltung, wird seit Jahren gefordert – und oft auch praktiziert. So löblich es ist, Wissenschaft und Markt trennen zu wollen, bedeutet diese Forderung im Gegenschritt, entweder das Bildungssystem finanziell enorm auszubauen, um den kreativen Köpfen die „Forschung und Lehre […] frei“ zu stellen; oder aber, sich den Drittmitteln und Lobbyisten zu überlassen, die für die Kulturpflege aufkommen.

„Klarmachen zum Ändern!“

warb die Partei in NRW. Unseren Umgang mit Informationen, ja. Aber nicht das Wahlverhalten.


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Dominik Matuschek

geb. 1982, Dr. theol., VDSt Bonn, Chefredaktion.

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