Plan G

Da ist ihnen doch merklich der Schrecken in die Glieder gefahren, den FDP-Granden. Vor drei Monaten noch wähnten sie sich auf dem Weg zur kleinen Volkspartei; inzwischen sehen sie sich schmerzlich wieder aufs Normalmaß reduziert. Acht Prozent sagten die Umfragen zuletzt bundesweit voraus, die Regierungsmehrheit in Nordrhein-Westfalen und damit auch die Koalitionsmehrheit im Bundesrat ist in Gefahr.


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Die Auguren scheinen nun erstaunlich schnell recht zu behalten, die meinten, dass die 14,6 % Zweitstimmenanteil nur eine vorübergehende Höhe seien, bedingt durch taktisches Wahlverhalten, einen von der Großen Koalition enttäuschten CDU-Wirtschaftsflügel und frustrierte, nicht mehr zur Wahl gehende SPD-Anhänger.

Für die FDP und Guido Westerwelle, den Außenminister mit den schlechtesten Beliebtheitswerten seit Klaus Kinkel, ist das zweifelsohne eine schwierige Lage. Auf sie richten sich nun alle Augen. Häufig übersehen wird, dass die FDP-Schwäche auch ihren Partnern zu denken geben muss. Angela Merkel, die dann gerade einmal neunundfünfzig Jahre zählen wird, wird auch 2013 noch einmal zur Wahl antreten. Und sie muss ernsthaft über Alternativen nachdenken, falls es dann mit den Freidemokraten nicht erneut für eine Mehrheit reichen sollte. Die naheliegendste Alternative lautet dabei nicht: Neuauflage der Großen Koalition. Sie lautet Schwarz-Grün.

Der Gedanke an ein solches Bündnis ist relativ neu. Die Alternativen hießen bisher, wenn ein Zweierbündnis nicht zustandekam, Große Koalition, Ampel, Rot-Rot-Grün oder Jamaika. Allerdings nicht vorwiegend aus politischen Gründen, sondern aus arithmetischen. Und die sind gerade dabei, wegzufallen.

Schon vor der Bundestagswahl im letzten September waren die Aussagen der Grünen zur Union nicht mehr so einhellig ablehnend wie früher. Natürlich, Jamaika, das wurde definitiv abgelehnt. Die Antipathien zur FDP und deren Personal, mit der man ja auch in direkter Konkurrenz stand um das gleiche urbane, gutverdienende Akademikermilieu, waren zu groß. Zudem: „Mit drei neoliberalen Parteien“, war das Credo, könne man nicht regieren; in einem solchen Bündnis wäre man an die Wand gespielt worden. Mit nur zwei Partnern allerdings, CDU und CSU, die sich darüber hinaus nicht so gänzlich als neoliberal verstanden, wäre es wohl immerhin denkbar gewesen. Explizit ausgeschlossen wurde es nicht.

Rechenspiele

Damals war das Szenario dennoch utopisch, weil es ja voraussetzte, dass die schwarz-gelbe Wunschkoalition rechnerisch nicht zustandekäme, eine schwarz-grüne aber schon, mithin also, dass die Grünen besser als die FDP abschnitten. Im September war das nicht in Aussicht. Die FDP errang am Ende fast vier Prozentpunkte und 25 Mandate mehr als die Grünen, 5 Sitze fehlten Schwarz-Grün im Bundestag zu einer Mehrheit. Inzwischen – schnellebig ist das politische Geschäft – scheint es aber möglich. In den neuesten Umfragen liegen die Grünen deutlich im zweistelligen Bereich, bei einigen Instituten schon bei 15%.

Über Schwarz-Grün zu sinnieren, liegt also nahe. Zumal der Spielraum für die Union enger wird. Bis 2011 muss nach Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts das Wahlrecht reformiert und das „negative Stimmgewicht“, das durch Übergangmandate entstehen kann, abgeschafft werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Überhangmandate dadurch generell weniger werden und damit der Zehn-Prozentpunkte-Abstand zwischen Union und SPD sich nicht mehr in einen überproportionalen Mandatevorsprung umsetzen lässt. 33,8 % der Zweitstimmen hatten CDU und CSU im September zusammen erzielt, aber 38,4 % der Mandate. Bei der nächsten Wahl dürften diese beiden Werte erkennbar konvergieren. Hinzu kommt: 2013 werden sowohl die schwarz-grüne Koalition in Hamburg als auch die Jamaika-Koalition im Saarland ausreichend Erfahrung gesammelt haben. Schwarz-grüne Zusammenarbeit wäre dann, anders als 2005, als Jamaika erstmals kurzzeitig diskutiert wurde, kein völliges Neuland mehr.

Freilich, ein Wunschbündnis wäre es auch nicht, und zum Nulltarif zu haben wäre es erst recht nicht. Beide Seiten hätten Alternativen, CDU und CSU mit den Sozialdemokratien, die Grünen mit SPD und Linken. Die Grünen hätten indes die für sie attraktivere und auch wahrscheinlichere Rückfallmöglichkeit; insofern ist ihre Verhandlungsposition besser. Um das Bündnis 2013 realistisch zu machen, müsste sich die Union bewegen, nicht sie.

Berührungspunkte

Das wird nicht einfach, zumal aus einer bestehenden Koalition heraus. Immerhin, es gibt Ansätze. Der allseits geschätzte Umweltminister Norbert Röttgen, schon Mitte der Neunziger einer der jungen Wilden, die erstmals Kontakte zu den Grünen knüpften, als das in der Kohl-CDU noch unter Hochverratsverdacht stand, ist einer derer, die den Ölzweig überreichen könnten. Seine Ernennung ist bereits eine Art strategisches Waffenstillstandsangebot Angela Merkels an die Grünen gewesen. Und in der Tat bilden christlich-konservative Schöpfungsbewahrung und grüne Umweltbewegung eine gewisse gemeinsame Ausgangsbasis, einen ideologischen Berührungspunkt der beiden an sich sehr verschiedenen Parteien.

Menschenrechtspolitik, wertegebundene Außenpolitik ist ein weiterer Punkt auf der Liste der Gemeinsamkeiten. Tatsächlich neigen sowohl Sozialdemokraten als auch FDP hier zu einer eher pragmatischen Außenpolitik und gegenüber Diktaturen wie China leicht zu Nachgiebigkeit und Umfallerei. Die Grünen werden sich womöglich, beispielsweise, eines Tages daran erinnern, dass es die CDU-Bundeskanzlerin gewesen ist, die trotz massiver Proteste aus Peking den Dalai Lama empfing, und dass es der CDU-Ministerpräsident Roland Koch (und kein Sozialdemokrat) ist, den er zu seinen besten Freunden zählt. Und dass es umgekehrt der SPD-Kanzler Schröder war, der das EU-Waffenembargo gegenüber China kippen wollte.

Bisherige Gegensätze wiederum verlieren mehr und mehr an Gewicht. Etwa in der Wehrpolitik. Die Grünen wollen seit Jahr und Tag die Wehrpflicht abschaffen, die Union nicht. Aber mit dem sechsmonatigen Wehrdienst, der die Bundeswehrzeit für junge Männer zum besseren Praktikum werden lässt, ist der Einstieg in den Ausstieg bereits von der jetzigen Koalition vereinbart worden. Es wäre nicht schwer, sich in einer ersten Legislatur darauf zu einigen, diesen Status quo erst einmal beizubehalten. Und in der Debatte um das jüngste Afghanistanmandat war interessant zu beobachten, dass gerade ein Grüner wie Tom Koenigs der SPD vorrechnete, die Nennung konkreter Abzugsdaten für die Bundeswehr sei gefährlicher Irrsinn. Grüne Pazifisten gegen schwarze Kalte Krieger, diesen simplen Gegensatz gibt es nicht mehr. Und andere Punkte wie die Gesellschaftspolitik, gegenüber Migranten und Homosexuellen etwa, hat Angela Merkel schon in der Großen Koalition längst abgeräumt.

Mancher Streitpunkt freilich bleibt, in der Atom-, Innen-, Steuer- oder auch Gesundheitspolitik. Es wird deshalb interessant sein, in den nächsten Monaten zu beobachten, in welche Richtung sich die Merkel-CDU bewegt und welche Hintertüren sie sich offen lässt. Eine Option auf der Liste der Möglichkeiten ist er ganz gewiss, Angela Merkels Plan G.


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