Rebellen rüsten zum Widerstand

Bei jedem neuen Euro-Rettungspaket, das durch die Parlamente gebracht werden soll, wiederholt sich die gleiche Debatte über Chancen und Risiken der gewährten Kredite und der aufgespannten Rettungsschirme; nur die Summen steigen unaufhörlich. Und die Anfangs kleine Minderheit der Skeptiker ist nicht totzukriegen; sie wächst und vernetzt sich zunehmend. Der als Euro-Rebell bekannt gewordene FDP-Abgeordnete Frank Schäffler sowie Eberhard und Eike Hamer („Was tun, wenn der Crash kommt?“) haben einige ihrer Beiträge zur Diskussion nun als Sammelband herausgegeben.


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Was gehört zu den herausragenden Merkmalen eines liberalen, demokratischen, marktwirtschaftlichen Staats- und Gesellschaftssystems? Die Gültigkeit des Rechts; die Kopplung von Risiko und Haftung; Gewaltenteilung und Subsidiarität. All das, meint Frank Schäffler, erfüllt die von Bundesregierung (und der Mehrheit der parlamentarischen Opposition), von den europäischen Partnerländern und der Kommission Barroso propagierte Finanzpolitik mit immer größeren Rettungsschirmen für überschuldete Mittelmeerstaaten nicht. Sie bricht die europäischen Verträge („No-bail-out-Klausel“), sie rettet die Anlagen von Finanzinstituten, die mit unsicheren griechischen Staatsanleihen spekulierten, und sie führt zu einer immer größeren Machtzusammenballung bei nicht oder nur sehr indirekt demokratisch legitimierten Gremien in Brüssel. Und darum, so der Euro-Rebell, sei die Politik abzulehnen, was er bei jeder neuen Abstimmung im Bundestag erneut bekundet.

Schonungslose Analyse

Aber nicht nur, weil sie wesentliche ordnungspolitische Prinzipien unterlaufe, fährt Professor Eberhard Hamer fort, von dem die Mehrzahl der Aufsätze in dem gemeinsamen Sammelband stammt, sondern weil sie schlicht nicht zielführend sei. Immer neue Kredite helfen dem überschuldeten Griechenland nicht, zwangsverordnete Sparprogramme würgen seine Wirtschaft ab; der Kollaps wird nur verschoben, aber keineswegs gemildert. Die zunehmende Aufweichung ordnungspolitischer Grundsätze, etwa das massive Eingreifen der Zentralbanken und die (Eurobonds vorwegnehmende) Mithaftung der nord- und mitteleuropäischen Staaten für die Schulden anderer, setze aber falsche Anreize und belohne Jahrzehnte der Misswirtschaft und Verschuldungspolitik. Und, so die düstere Prognose, ist am Ende die Leistungsfähigkeit auch des letzten europäischen Stabilitätsankers, nämlich Deutschlands, überdehnt, drohen der Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems, Inflation, Massenarmut und in vielen Ländern Volksaufstände.

Ein Ausscheiden Griechenlands – und eventuell anderer Staaten – aus der Eurozone ist die nahe liegende Alternative, verbunden mit einer Staatsinsolvenz und einer drastischen Abwertung; ein harter Schnitt, aber historisch durchaus nicht ungewöhnlich. Die Begleiterscheinungen wären allerdings erheblich, nicht nur in Griechenland. Dass dies offen ausgesprochen wird, spricht sehr für das Buch. Die Autoren plädieren für ein Ende mit Schrecken statt eines Schreckens ohne Ende. Schrecken: Weil der Ausfall der Staatsanleihen Griechenlands (und eventuell weiterer Länder) viele Finanzinstitute bedroht, die diese Anleihen in ihr Depot aufgenommen haben; einige deutsche, vor allem aber französische und auch US-amerikanische; weil diese Institute oder die Rückversicherer, die ihre Geschäfte abgesichert haben, dann mit staatlichen Mitteln gerettet werden müssten; weil auch die Zentralbanken, insbesondere die EZB durch den Ankauf problematischer Staatsanleihen, sich zuletzt ebenfalls in eine schwierige Lage manöviert haben und gestützt werden müssten; und weil durch die Reduzierung der bestehenden Überliquidität diesseits und jenseits des Atlantiks sehr wahrscheinlich eine mehrjährige Rezession in Amerika und Europa eintreten würde. Aber ein Schrecken mit Ende: Weil die beteiligten Volkswirtschaften, auf ihr eigentliches realwirtschaftliches Potential gesundgeschrumpft, mittelfristig wieder die Chance auf Erholung hätten.

Spekulatives

Durch die sachliche Gegenüberstellung der verschiedenen Szenarien zeigen die Autoren Alternativen auf zur herrschenden Meinung in der – in Sachen Eurorettung – seit Jahren konstant bestehenden übergroßen Koalition aus Schwarz, Gelb, Rot und Grün. Darin liegt die größte Stärke des Bandes. Schwächen treten gelegentlich auf, wenn die Autoren den gleichen alarmistischen Tonfall verwenden wie ihre Gegner und es im Vokabular übertreiben; der ESM-Fonds als „Ermächtigungsgesetz“ zugunsten des Brüsseler „Politbüros“ und andere Diktatur-Vergleiche bewegen sich auf ähnlichem rhetorischen Niveau wie die steile These der Bundeskanzlerin, wenn der Euro falle, falle Europa, und im übrigen handele es sich um eine Frage von Krieg und Frieden. In einer aufgeheizten Debatte mag das unvermeidlich sein, aber verbale Abrüstung täte dem Thema durchaus gut.

Eine weitere Schwäche liegt im gelegentlichen Abgleiten ins Verschwörungstheoretische, wenn die offensichtlich unüberwindbare Mehrheitshaltung der veröffentlichten Meinung für die Rettungsfonds mit einer bewussten Lenkung der Medienlandschaft erklärt und der amerikanischen Finanzindustrie die Macht zugesprochen wird, zur Ablenkung von der inneramerikanischen Schuldenkrise mittels der Ratingagenturen europäische Krisen oder über ihren Einfluss auf die amerikanische Regierung gar Kriege und Aufstände in fremden Ländern herbeigeführt zu haben – ohne für die Thesen Belege zu liefern.

Es gibt Alternativen

Von gelegentlichen Überspitzungen sollte man sich aber nicht abschrecken lassen, die Kritik an der – parlamentarischen – Mehrheitsmeinung behält dennoch ihre Berechtigung. „TINA“ – there is no alternative – ist als Begründung für die Bewegung von dreistelligen Milliardensummen, für die verfassungsrechtlich fragwürdige Übertragung von Haushalts- und damit zentralen Souveränitätsrechten nach Brüssel und für eine Finanzpolitik, die Schulden mit noch mehr Schulden und damit Feuer mit Brandbeschleunigern bekämpft, schlicht zu wenig. „Planwirtschaft und Rechtsbruch sind nicht alternativlos“, so Frank Schäffler; die Alternativen verdienen gehört zu werden.

Frank Schäffler / Eberhard & Eike Hamer: Warum lassen wir das geschehen? Eurokrise: Die Lust am gemeinsamen Untergang.76 Seiten, ISBN 978-3-00-036875-2


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