Robert Blum: „Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin“

„Mein theures, gutes, liebes Weib, lebe wohl! wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht sein wird. Erziehe unsre – jetzt Deine, Kinder zu edlen Menschen, dann werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen. Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hülfe unserer Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles was ich empfinde rinnt in Thränen dahin, daher nur nochmals: leb wohl theures Weib …“

Für Freiheit und Fortschritt

Für Freiheit und Fortschritt

Diese bewegenden Zeilen schrieb Robert Blum im Morgengrauen des 9. November 1848 an seine Gattin. Nur wenige Stunden später wurde er von einem Hinrichtungskommando in der Brigittenau, einem Vorort Wiens, standrechtlich erschossen. Um die Träger der Revolution ins Mark zu treffen statuierten die gegenrevolutionären Truppen des österreichischen Generals Windischgrätz ein Exempel an einem der bekanntesten und entschiedensten Demokraten des 19. Jahrhunderts.

„In Wien entscheidet sich das Schicksal Deutschlands, vielleicht Europas. Siegt die Revolution hier, dann beginnt sie von neuem ihren Kreislauf; erliegt sie, dann ist wenigstens für eine Zeitlang Kirchhofsruhe in Deutschland.“ Diese von Robert Blum in einem Brief geäußerte Befürchtung sollte sich bewahrheiten. Tatsächlich dauerte es noch mehr als 100 Jahre, bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland am 8. Mai 1949, bis seine Vision eines freiheitlichen, demokratischen Deutschlands Wirklichkeit werden sollte. Wenden wir uns also dem Leben dieses bedeutenden und lange Zeit vergessenen Vordenkers unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu.

Herkunft und Werdegang

Geboren am 10. November 1807 in Köln als Sohn eines Fassbinders wuchs Robert Blum in ärmsten Verhältnissen auf. Als Robert 8 Jahre alt war, starb sein Vater an Tuberkulose. Um die Familie über Wasser zu halten, musste er sich als Handwerker verdingen und zahlreiche niedrige Hilfsdienste verrichten. Schon damals bescheinigte ihm einer seiner Handwerksmeister, dass er eher das Zeug zum „Federfuchser“ habe. Schließlich landete er 1827 im Alter von 20 Jahren bei dem Laternenfabrikanten Johann Wilhelm Schmitz. Seine dienstlichen Geschäfte führten ihn unter anderem nach München und Berlin. In Berlin tauchte er in die Welt der akademischen Bildung ein und besuchte als Gasthörer Vorlesungen an der Universität. Aus seiner Zeit in München stammt eine Veröffentlichung über Straßenbeleuchtungen („Kurze Abhandlung über die Straßen-Beleuchtung zum Gebrauche der städtischen Polizei- und Verwaltungs-Behörden nebst einigen Erläuterungen über das allgemeine Unternehmen der Straßen-Beleuchtung“), die erstmals sein schriftstellerisches Talent aufblitzen lässt. Als sein Arbeitgeber ihn nicht mehr bezahlen kann, kehrt er nach dreizehntägigem Fußmarsch in seine Heimatstadt Köln zurück. Durch eine glückliche Fügung erhält er dort eine Anstellung als Theaterdiener beim Kölner Theaterdirektor Friedrich Sebald Ringelhardt. Dies erweist sich als außerordentlicher Glücksfall für den jungen Blum. Voller Begeisterung saugt er den Stoff der dargebotenen Bühnenstücke auf und taucht in die Welt des Theaters ein. Friedrich Schiller, der Nationaldichter der Deutschen, hat es ihm besonders angetan. 1832 folgt er seinem Chef Ringelhardt in die Theater- und Kulturmetropole Leipzig (nun nicht mehr als Diener, sondern als Sekretär, Bibliothekar und Kassierer).

Vorbild Schiller

Im Jahr 1839 fand in Stuttgart, auf dem Höhepunkt der Schiller-Verehrung des Vormärz, ein großes Fest zur Einweihung des von Thorvaldsen geschaffenen Schiller-Denkmals statt. Mit einer geschätzten Teilnehmerzahl von 30.000 war es, nach dem Hambacher Fest von 1832, die zweite große Massenveranstaltung mit politischem Hintergrund. Der Nimbus Schillers war imstande, bisher getrennt lebende Stände, Schichten, Konfessionen und Religionen zu einer nationalen Festgemeinschaft zu vereinigen. Das Schillerfest war zu einem Nationalfest geworden! Mit ihm feierte man einen Volkserzieher für Vaterland und Freiheit, für Wahrheit, Recht und Völkerwohl. Blum, der sich Schiller innig verbunden fühlte, nahm die Kunde von den Schiller-Feierlichkeiten in Stuttgart begeistert auf. Er beteiligte sich maßgeblich an der Gründung des ersten Schiller-Vereins in Leipzig Anfang der 1840er Jahre. Zu den jährlich stattfindenden Schillerfeiern zu dessen Geburtstag am 10. November (Blum hatte am selben Tag Geburtstag), hielt er vor Hunderten von Zuhörern bis 1846 insgesamt vier Festvorträge, in denen er Schiller als geistigen und politischen Wegbegleiter pries. Blum verehrte ihn als „edlen Menschen“, der als „Lehrer und Prophet im gärenden Kampf der Zeit“ wirke. Zeit seines Lebens verband ihn eine Art Verwandtschaft im Geiste mit dem Dichterfürsten.

Neben seinem Engagement im Schiller-Verein wirkte Blum in Leipzig im Komitee für das Gutenbergfest, im Literatenverein, im Redeübungsverein, in der deutsch-katholischen Reformbewegung und im Deutschen Vaterlandsverein. In dem von der allgegenwärtigen Zensur geprägten Klima des Vormärz versuchte er im Schutz der Vereinstätigkeit seine politischen Botschaften zu verbreiten. Adressat seiner Botschaften war meist das einfache Volk. Seine Zeitungskommentare und öffentlichen Reden übten eine starke Faszination auf seine Zeitgenossen aus und hatten in zunehmendem Maße politischen Charakter. Ein Zeitgenosse formulierte 1848 treffend: „Das Volk gehorcht ihm unbedingt, begöttert in ihm den Dolmetscher seiner Gefühle.“

Darüber hinaus machte sich Blum als Feuilletonist und Mitarbeiter zahlreicher sächsischer Zeitungen wie Die Wartburg, Der Freischütz, Telegraph für Deutschland und Der Bürger-Freund einen Namen. Er hielt zunehmend vielbeachtete Reden, etwa zu Ehren der Göttinger Sieben oder über die Arbeit der neuen liberalen Opposition im sächsischen Parlament. Höhepunkt seiner Redewirkung war sein Auftritt am 13. August 1845 im Schützenhaus vor Tausenden von Leipziger Bürgern. Zuvor wurden friedlich gegen den Prinzen Johann von Sachsen protestierende liberale und deutschkatholische Bürger vom Militär rücksichtslos niedergeschossen. Blum gelang es, die aufgebrachte Menschenmenge mit einem eindringlichen Appell „Verlasst den Boden des Gesetzes nicht!“ zu beruhigen und weiteres Blutvergießen zu verhindern. Mit seinen Reden und Zeitungsbeiträgen avancierte Blum zur führenden Gestalt des organisierten, liberalen Bürgertums und der Vereinsbildung in Sachsen und bereitete so den revolutionären Boden des Jahres 1848.

Vorparlament und Frankfurter Nationalversammlung

Als Delegierter Zwickaus war Blum ab März 1848 Mitglied im Vorparlament, zu dessen Vizepräsident er gewählt wurde. Im ersten deutschen Parlament, der Frankfurter Paulskirche, war er Sprecher der Demokratischen Linken („Deutscher Hof“), deren Mitglieder das Mehrheitsprinzip und den Boden der Gesetzlichkeit anerkannten.

Kommen wir nun zu der Frage, was die eigentlichen politischen Ziele Blums waren. Wofür trat er ein? Für das politische Wirken Robert Blums im Vorparlament und in der Frankfurter Paulskirche ist charakteristisch, dass er sowohl die ängstliche Zaghaftigkeit des rechtsliberalen Lagers um Karl Theodor Welcker als auch die Gewaltbereitschaft der linken Radikalen um Hecker und Struve ablehnte. Er warnte eindringlich davor, die Revolution mit Waffengewalt weiterzutreiben. Sich selbst sah er als „radicalen Demokraten“, der im Sinne eines konstruktiven Verfassungspatriotismus die Freiheit der Person und des Eigentums, Glaubens-, Gewissens- und Pressefreiheit verwirklicht wissen wollte.

Robert Blum war ein Mann der Tat, dem es nicht genügte diese elementaren Grundrechte einzufordern; er setzte sich mit aller Kraft und seiner ganzen Autorität für deren Verwirklichung ein. In der Paulskirche hielt er zahlreiche vielbeachtete Reden. Voller Bewunderung schrieb die Frau des englischen Konsuls, Clotilde Koch-Gontards, in einem Brief an ihre Freunde: „Als ich heute Blum mit so prachtvoller Sprache hörte und die Galerien sich vor Applaudieren nicht zu lassen wussten, da fiel mir der Robespierre unwillkürlich ein, und eine dunkle Ahnung ward in meiner Seele wach, dass es recht möglich sei, dass er bald Gagern überflügelt haben könnte, dass er vielleicht bald an seinem Posten stehen werde …“

Richtschnur für sein Wirken in der Paulskirche war, dass „dieses jahrhundertelang zerrissene, zersplitterte und dadurch tief gesunkene Deutschland Eins werde; Eins auf der Grundlage der Freiheit.“ Blum trat für eine „republikanische Form an der Spitze des Gesamtstaates“ ein, die den Einzelstaaten die Chance bietet, „Spielraum zu ihrer eigenthümlichen Entwicklung, zu gönnen und zu belassen“. Im Fokus seines Strebens und Denkens stand eine auf Freiheit gegründete Einheit Deutschlands. Nur durch Freiheit glaubten er und seine Mitstreiter, sei die Einheit zu bewerkstelligen. Deutschland stand für ihn über Preußen. Deshalb drängte er die Frankfurter Nationalversammlung zu einer Entscheidung, „ob Preußen in Deutschland aufgeht, oder ob Deutschland preußisch werde“. Die Idee des Völkerbundes (1920–1946) und der UNO (seit 1945) nimmt Blum vorweg, indem er für eine „Einheit der Völker unter sich, wie alle Völker miteinander, mindestens in Vielfacher Beziehung“ eintritt. „Dieses Streben ist mit der fortschreitenden Bildung unaufhaltsam gewachsen und verspricht dereinst die Völker zu einer großen Familie zu verbinden, in welcher gegenseitige Feindseeligkeiten und Kriege undenkbar sind.“

Ein weiteres wichtiges Anliegen war ihm die „Wahrheit der Verfassung“. Dazu gehörte für ihn Öffentlichkeit, Mündlichkeit, unabhängige Gerichte, Geschworene, Verbot der Todesstrafe, Presse- und Meinungsfreiheit. Auch auf ökonomischem Gebiet trat er für Freizügigkeit und freien Handel ein.

Im Oktober 1848 reiste Robert Blum nach Wien, um den Revolutionären im Namen seiner Fraktion eine Solidaritätsbekundung zu überbringen. Voller Begeisterung ließ er sich von den Geschehnissen mitreißen und übernahm sogar das Kommando über eine kämpfende Truppe. Das Leben des erst 41 Jahre alten Blum endete jäh, als er in die Hände der gegenrevolutionären Truppen des Generals Windischgrätz fiel. Am 9. November wurde er, unter Missachtung seiner Immunität als Reichstags-abgeordneter, standrechtlich erschossen.

Blum versus Bismarck

Mit der Bismarckschen Reichsgründung von 1871 wurde die Frage, „ob Preußen in Deutschland aufgeht, oder ob Deutschland preußisch werde“ bekanntlich vorläufig zugunsten der zweiten Option entschieden. Bismarcks Staatsidee stand dabei in diametralem Gegensatz zu derjenigen des Liberalen Blum. „Die Verschmelzung der deutschen Staaten zu einer einheitlichen Nation mit einem eigenen, und am Ende mehr und mehr einheitlichen Willen war ihm von seiner monarchisch-obrigkeitlichen Staatsidee her zutiefst suspekt“ (Lothar Gall). In seinem Handeln ließ sich der gewiefte, bisweilen geniale, Realpolitiker Bismarck ausschließlich von den Interessen des preußischen Staates und seines obersten Repräsentanten, dem preußischen Monarchen, leiten. Machtbehauptung und Machterweiterung Preußens waren sein Ziel. Bereits 1848 trat Bismarck als entschiedener Gegner der Revolution und der mit ihr verbundenen nationalen Ziele hervor. Es darf nicht vergessen werden, dass sich Bismarck nicht aus Überzeugung, sondern aus rein machtpolitischem Kalkül heraus, an die Spitze der Nationalstaatsbewegung stellte, die schließlich zur Gründung des Kaiserreiches 1871 führte. Innerlich war er von der Idee, eines durch das Volk getragenen, demokratischen und parlamentarischen Staatswesens weit entfernt.

Bismarck und Blum können somit als typische Vertreter der beiden das 19. Jahrhundert bestimmenden Konfliktlinien, dem monarchischen Prinzip auf der einen und dem Prinzip der Volkssouveränität auf der anderen Seite, angesehen werden. Die Tatsache, dass sich die Forderungen Blums letztendlich durchgesetzt haben und heute zum unveräußerlichen Grundbestand unserer parlamentarischen Demokratie gehören, zeigt, wie weit er der damaligen Zeit voraus war, und welch visionäre Kraft sein Denken hatte.

Vorbild für VDSter?

Vergleicht man diese beiden politisch bedeutenden Männer des 19. Jahrhunderts, so muss man nüchtern feststellen, dass Bismarck für das politische Wirken und Handeln von uns heutigen VDStern nur noch bedingt als Vorbild taugt. Hier stimme ich ausdrücklich mit der Vorortsdenkschrift des Karlsruher Bundes („Nicht der Pflicht nur zu genügen – unsere Ziele neu denken“) überein. Die Ideen Robert Blums hingegen haben nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

Wieso also nicht das Wirken Robert Blums im Rahmen von Semestervorträgen aufgreifen oder eine festliche Kneipe zu Ehren seines Geburtstages am 10. November schlagen? Es lohnt sich auf jeden Fall, sich intensiv mit der Vita dieses leidenschaftlichen Demokraten und „Vorkämpfers für die Freiheit“ zu beschäftigen.

 

Literaturempfehlungen:
– Ralf Zerback: Robert Blum – Eine Biographie, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2007, 368 S., 19,90 € (fulminante, gut lesbare Biographie). Bei Amazon: Robert Blum: Eine Biografie
– Martina Jesse, Wolfgang Michalka: „Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin.“, Verlag für Berlin-Brandenburg 2006, 270 S., 19,90 € (Begleitband zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig)
– Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866 – Bürgerwelt und starker Staat, Verlag C.H. Beck 1998, 838 S. (Dreibändiges Standardwerk zur deutschen Geschichte von 1800–1918)

 

 

 


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Für Freiheit und Fortschritt

Für Freiheit und Fortschritt

Diese bewegenden Zeilen schrieb Robert Blum im Morgengrauen des 9. November 1848 an seine Gattin. Nur wenige Stunden später wurde er von einem Hinrichtungskommando in der Brigittenau, einem Vorort Wiens, standrechtlich erschossen. Um die Träger der Revolution ins Mark zu treffen statuierten die gegenrevolutionären Truppen des österreichischen Generals Windischgrätz ein Exempel an einem der bekanntesten und entschiedensten Demokraten des 19. Jahrhunderts.

„In Wien entscheidet sich das Schicksal Deutschlands, vielleicht Europas. Siegt die Revolution hier, dann beginnt sie von neuem ihren Kreislauf; erliegt sie, dann ist wenigstens für eine Zeitlang Kirchhofsruhe in Deutschland.“ Diese von Robert Blum in einem Brief geäußerte Befürchtung sollte sich bewahrheiten. Tatsächlich dauerte es noch mehr als 100 Jahre, bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland am 8. Mai 1949, bis seine Vision eines freiheitlichen, demokratischen Deutschlands Wirklichkeit werden sollte. Wenden wir uns also dem Leben dieses bedeutenden und lange Zeit vergessenen Vordenkers unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu.

Herkunft und Werdegang

Geboren am 10. November 1807 in Köln als Sohn eines Fassbinders wuchs Robert Blum in ärmsten Verhältnissen auf. Als Robert 8 Jahre alt war, starb sein Vater an Tuberkulose. Um die Familie über Wasser zu halten, musste er sich als Handwerker verdingen und zahlreiche niedrige Hilfsdienste verrichten. Schon damals bescheinigte ihm einer seiner Handwerksmeister, dass er eher das Zeug zum „Federfuchser“ habe. Schließlich landete er 1827 im Alter von 20 Jahren bei dem Laternenfabrikanten Johann Wilhelm Schmitz. Seine dienstlichen Geschäfte führten ihn unter anderem nach München und Berlin. In Berlin tauchte er in die Welt der akademischen Bildung ein und besuchte als Gasthörer Vorlesungen an der Universität. Aus seiner Zeit in München stammt eine Veröffentlichung über Straßenbeleuchtungen („Kurze Abhandlung über die Straßen-Beleuchtung zum Gebrauche der städtischen Polizei- und Verwaltungs-Behörden nebst einigen Erläuterungen über das allgemeine Unternehmen der Straßen-Beleuchtung“), die erstmals sein schriftstellerisches Talent aufblitzen lässt. Als sein Arbeitgeber ihn nicht mehr bezahlen kann, kehrt er nach dreizehntägigem Fußmarsch in seine Heimatstadt Köln zurück. Durch eine glückliche Fügung erhält er dort eine Anstellung als Theaterdiener beim Kölner Theaterdirektor Friedrich Sebald Ringelhardt. Dies erweist sich als außerordentlicher Glücksfall für den jungen Blum. Voller Begeisterung saugt er den Stoff der dargebotenen Bühnenstücke auf und taucht in die Welt des Theaters ein. Friedrich Schiller, der Nationaldichter der Deutschen, hat es ihm besonders angetan. 1832 folgt er seinem Chef Ringelhardt in die Theater- und Kulturmetropole Leipzig (nun nicht mehr als Diener, sondern als Sekretär, Bibliothekar und Kassierer).

Vorbild Schiller

Im Jahr 1839 fand in Stuttgart, auf dem Höhepunkt der Schiller-Verehrung des Vormärz, ein großes Fest zur Einweihung des von Thorvaldsen geschaffenen Schiller-Denkmals statt. Mit einer geschätzten Teilnehmerzahl von 30.000 war es, nach dem Hambacher Fest von 1832, die zweite große Massenveranstaltung mit politischem Hintergrund. Der Nimbus Schillers war imstande, bisher getrennt lebende Stände, Schichten, Konfessionen und Religionen zu einer nationalen Festgemeinschaft zu vereinigen. Das Schillerfest war zu einem Nationalfest geworden! Mit ihm feierte man einen Volkserzieher für Vaterland und Freiheit, für Wahrheit, Recht und Völkerwohl. Blum, der sich Schiller innig verbunden fühlte, nahm die Kunde von den Schiller-Feierlichkeiten in Stuttgart begeistert auf. Er beteiligte sich maßgeblich an der Gründung des ersten Schiller-Vereins in Leipzig Anfang der 1840er Jahre. Zu den jährlich stattfindenden Schillerfeiern zu dessen Geburtstag am 10. November (Blum hatte am selben Tag Geburtstag), hielt er vor Hunderten von Zuhörern bis 1846 insgesamt vier Festvorträge, in denen er Schiller als geistigen und politischen Wegbegleiter pries. Blum verehrte ihn als „edlen Menschen“, der als „Lehrer und Prophet im gärenden Kampf der Zeit“ wirke. Zeit seines Lebens verband ihn eine Art Verwandtschaft im Geiste mit dem Dichterfürsten.

Neben seinem Engagement im Schiller-Verein wirkte Blum in Leipzig im Komitee für das Gutenbergfest, im Literatenverein, im Redeübungsverein, in der deutsch-katholischen Reformbewegung und im Deutschen Vaterlandsverein. In dem von der allgegenwärtigen Zensur geprägten Klima des Vormärz versuchte er im Schutz der Vereinstätigkeit seine politischen Botschaften zu verbreiten. Adressat seiner Botschaften war meist das einfache Volk. Seine Zeitungskommentare und öffentlichen Reden übten eine starke Faszination auf seine Zeitgenossen aus und hatten in zunehmendem Maße politischen Charakter. Ein Zeitgenosse formulierte 1848 treffend: „Das Volk gehorcht ihm unbedingt, begöttert in ihm den Dolmetscher seiner Gefühle.“

Darüber hinaus machte sich Blum als Feuilletonist und Mitarbeiter zahlreicher sächsischer Zeitungen wie Die Wartburg, Der Freischütz, Telegraph für Deutschland und Der Bürger-Freund einen Namen. Er hielt zunehmend vielbeachtete Reden, etwa zu Ehren der Göttinger Sieben oder über die Arbeit der neuen liberalen Opposition im sächsischen Parlament. Höhepunkt seiner Redewirkung war sein Auftritt am 13. August 1845 im Schützenhaus vor Tausenden von Leipziger Bürgern. Zuvor wurden friedlich gegen den Prinzen Johann von Sachsen protestierende liberale und deutschkatholische Bürger vom Militär rücksichtslos niedergeschossen. Blum gelang es, die aufgebrachte Menschenmenge mit einem eindringlichen Appell „Verlasst den Boden des Gesetzes nicht!“ zu beruhigen und weiteres Blutvergießen zu verhindern. Mit seinen Reden und Zeitungsbeiträgen avancierte Blum zur führenden Gestalt des organisierten, liberalen Bürgertums und der Vereinsbildung in Sachsen und bereitete so den revolutionären Boden des Jahres 1848.

Vorparlament und Frankfurter Nationalversammlung

Als Delegierter Zwickaus war Blum ab März 1848 Mitglied im Vorparlament, zu dessen Vizepräsident er gewählt wurde. Im ersten deutschen Parlament, der Frankfurter Paulskirche, war er Sprecher der Demokratischen Linken („Deutscher Hof“), deren Mitglieder das Mehrheitsprinzip und den Boden der Gesetzlichkeit anerkannten.

Kommen wir nun zu der Frage, was die eigentlichen politischen Ziele Blums waren. Wofür trat er ein? Für das politische Wirken Robert Blums im Vorparlament und in der Frankfurter Paulskirche ist charakteristisch, dass er sowohl die ängstliche Zaghaftigkeit des rechtsliberalen Lagers um Karl Theodor Welcker als auch die Gewaltbereitschaft der linken Radikalen um Hecker und Struve ablehnte. Er warnte eindringlich davor, die Revolution mit Waffengewalt weiterzutreiben. Sich selbst sah er als „radicalen Demokraten“, der im Sinne eines konstruktiven Verfassungspatriotismus die Freiheit der Person und des Eigentums, Glaubens-, Gewissens- und Pressefreiheit verwirklicht wissen wollte.

Robert Blum war ein Mann der Tat, dem es nicht genügte diese elementaren Grundrechte einzufordern; er setzte sich mit aller Kraft und seiner ganzen Autorität für deren Verwirklichung ein. In der Paulskirche hielt er zahlreiche vielbeachtete Reden. Voller Bewunderung schrieb die Frau des englischen Konsuls, Clotilde Koch-Gontards, in einem Brief an ihre Freunde: „Als ich heute Blum mit so prachtvoller Sprache hörte und die Galerien sich vor Applaudieren nicht zu lassen wussten, da fiel mir der Robespierre unwillkürlich ein, und eine dunkle Ahnung ward in meiner Seele wach, dass es recht möglich sei, dass er bald Gagern überflügelt haben könnte, dass er vielleicht bald an seinem Posten stehen werde …“

Richtschnur für sein Wirken in der Paulskirche war, dass „dieses jahrhundertelang zerrissene, zersplitterte und dadurch tief gesunkene Deutschland Eins werde; Eins auf der Grundlage der Freiheit.“ Blum trat für eine „republikanische Form an der Spitze des Gesamtstaates“ ein, die den Einzelstaaten die Chance bietet, „Spielraum zu ihrer eigenthümlichen Entwicklung, zu gönnen und zu belassen“. Im Fokus seines Strebens und Denkens stand eine auf Freiheit gegründete Einheit Deutschlands. Nur durch Freiheit glaubten er und seine Mitstreiter, sei die Einheit zu bewerkstelligen. Deutschland stand für ihn über Preußen. Deshalb drängte er die Frankfurter Nationalversammlung zu einer Entscheidung, „ob Preußen in Deutschland aufgeht, oder ob Deutschland preußisch werde“. Die Idee des Völkerbundes (1920–1946) und der UNO (seit 1945) nimmt Blum vorweg, indem er für eine „Einheit der Völker unter sich, wie alle Völker miteinander, mindestens in Vielfacher Beziehung“ eintritt. „Dieses Streben ist mit der fortschreitenden Bildung unaufhaltsam gewachsen und verspricht dereinst die Völker zu einer großen Familie zu verbinden, in welcher gegenseitige Feindseeligkeiten und Kriege undenkbar sind.“

Ein weiteres wichtiges Anliegen war ihm die „Wahrheit der Verfassung“. Dazu gehörte für ihn Öffentlichkeit, Mündlichkeit, unabhängige Gerichte, Geschworene, Verbot der Todesstrafe, Presse- und Meinungsfreiheit. Auch auf ökonomischem Gebiet trat er für Freizügigkeit und freien Handel ein.

Im Oktober 1848 reiste Robert Blum nach Wien, um den Revolutionären im Namen seiner Fraktion eine Solidaritätsbekundung zu überbringen. Voller Begeisterung ließ er sich von den Geschehnissen mitreißen und übernahm sogar das Kommando über eine kämpfende Truppe. Das Leben des erst 41 Jahre alten Blum endete jäh, als er in die Hände der gegenrevolutionären Truppen des Generals Windischgrätz fiel. Am 9. November wurde er, unter Missachtung seiner Immunität als Reichstags-abgeordneter, standrechtlich erschossen.

Blum versus Bismarck

Mit der Bismarckschen Reichsgründung von 1871 wurde die Frage, „ob Preußen in Deutschland aufgeht, oder ob Deutschland preußisch werde“ bekanntlich vorläufig zugunsten der zweiten Option entschieden. Bismarcks Staatsidee stand dabei in diametralem Gegensatz zu derjenigen des Liberalen Blum. „Die Verschmelzung der deutschen Staaten zu einer einheitlichen Nation mit einem eigenen, und am Ende mehr und mehr einheitlichen Willen war ihm von seiner monarchisch-obrigkeitlichen Staatsidee her zutiefst suspekt“ (Lothar Gall). In seinem Handeln ließ sich der gewiefte, bisweilen geniale, Realpolitiker Bismarck ausschließlich von den Interessen des preußischen Staates und seines obersten Repräsentanten, dem preußischen Monarchen, leiten. Machtbehauptung und Machterweiterung Preußens waren sein Ziel. Bereits 1848 trat Bismarck als entschiedener Gegner der Revolution und der mit ihr verbundenen nationalen Ziele hervor. Es darf nicht vergessen werden, dass sich Bismarck nicht aus Überzeugung, sondern aus rein machtpolitischem Kalkül heraus, an die Spitze der Nationalstaatsbewegung stellte, die schließlich zur Gründung des Kaiserreiches 1871 führte. Innerlich war er von der Idee, eines durch das Volk getragenen, demokratischen und parlamentarischen Staatswesens weit entfernt.

Bismarck und Blum können somit als typische Vertreter der beiden das 19. Jahrhundert bestimmenden Konfliktlinien, dem monarchischen Prinzip auf der einen und dem Prinzip der Volkssouveränität auf der anderen Seite, angesehen werden. Die Tatsache, dass sich die Forderungen Blums letztendlich durchgesetzt haben und heute zum unveräußerlichen Grundbestand unserer parlamentarischen Demokratie gehören, zeigt, wie weit er der damaligen Zeit voraus war, und welch visionäre Kraft sein Denken hatte.

Vorbild für VDSter?

Vergleicht man diese beiden politisch bedeutenden Männer des 19. Jahrhunderts, so muss man nüchtern feststellen, dass Bismarck für das politische Wirken und Handeln von uns heutigen VDStern nur noch bedingt als Vorbild taugt. Hier stimme ich ausdrücklich mit der Vorortsdenkschrift des Karlsruher Bundes („Nicht der Pflicht nur zu genügen – unsere Ziele neu denken“) überein. Die Ideen Robert Blums hingegen haben nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

Wieso also nicht das Wirken Robert Blums im Rahmen von Semestervorträgen aufgreifen oder eine festliche Kneipe zu Ehren seines Geburtstages am 10. November schlagen? Es lohnt sich auf jeden Fall, sich intensiv mit der Vita dieses leidenschaftlichen Demokraten und „Vorkämpfers für die Freiheit“ zu beschäftigen.

 

Literaturempfehlungen:
– Ralf Zerback: Robert Blum – Eine Biographie, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2007, 368 S., 19,90 € (fulminante, gut lesbare Biographie). Bei Amazon: Robert Blum: Eine Biografie
– Martina Jesse, Wolfgang Michalka: „Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin.“, Verlag für Berlin-Brandenburg 2006, 270 S., 19,90 € (Begleitband zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig)
– Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866 – Bürgerwelt und starker Staat, Verlag C.H. Beck 1998, 838 S. (Dreibändiges Standardwerk zur deutschen Geschichte von 1800–1918)

 

 

 


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Stefan Martin

geb. 1979, Ingenieur, VDSt Freiberg.

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