Schafft die Zivilehe ab!

Die faktische Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der traditionellen Ehe findet inzwischen Zustimmung bis weit in die christlich-liberale Koalition hinein; nur wenige Aufrechte aus Bayern wehren sich noch. Die linken Gesellschaftsingenieure sind beinahe am Ziel: Die staatlich anerkannte Ehe ist dekonstruiert. Man kann sie genauso gut abschaffen.


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Irgendwie hatte man es geahnt, damals, als während des rot-grünen Projekts die „Homo-Ehe“, auch bekannt als eingetragene Lebenspartnerschaft, durchgesetzt wurde. Nein, niemand wolle die Ehe zwischen Mann und Frau in ihrem Status mindern, den besonderen Schutz abschaffen, unter dem sie laut Grundgesetz steht; nein, von Gleichstellung könne keine Rede sein, nur eben von einer eigenständigen, angemessenen Lösung für ein drängendes Problem: dass es für die de facto bestehenden gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften keine staatlich anerkannte Rechtsform und damit keine hinreichenden Absicherungsmöglichkeiten gebe. Ein Jahrzehnt ist seither ins Land gegangen, und wenig sind die Versicherungen von damals heute noch Wert. Schritt um Schritt hat sich die Lage gewandelt: ein Parteitagsbeschluss hier, eine behördliche Praxis dort, prominente Einzelfälle dazu und einige Gerichtsurteile; „faktisch ist es doch ohnehin bereits so“, „man muss die Realitäten anerkennen“, „man kann nicht ewig auf den Positionen von gestern beharren“: inzwischen hätte die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft, nicht nur die steuerliche, eine politische Mehrheit, gäbe es nicht die Koalitionsräson mit zugehöriger Sperrminorität; bis weit in die CDU hinein reicht mittlerweile die Phalanx der Befürworter.

So ist es meistens mit den Paradigmenwechseln: Sie kommen nicht über Nacht, sondern in kleinen Schritten, immer mit dem, was gesellschaftlich gerade so durchsetzbar erscheint; das politische Gedächtnis ist in aller Regel kurz, an den Stand zwei Jahre zuvor erinnert man sich, der so anders ja nicht war; an den vor zehn Jahren kaum mehr. Nichts ist propagandistisch mächtiger als schleichende Gewöhnung. (Ähnlich, nebenbei bemerkt, ist es bei der sogenannten Eurorettung: Nach vielen kleinen Einzelschritten ist dort heute problemlos möglich, was vor drei Jahren noch einen Volksaufstand herbeigeführt hätte. Nur sind die Zeitabstände in diesem Fall so kurz, dass mancher sich noch an das erinnert, was die Politiker anfangs predigten; und da fällt dann doch auf, wenn zum Hochverräter abgestempelt wird, wer offen ausspricht, was vor nicht allzu langer Zeit noch offizielle Regierungslinie war.)

Merkwürdige Verspätung

Es mag nun tatsächlich wenig helfen, sich über die Salami-Taktik zu empören – wenn man denn Taktik, also Absicht dahinter, unterstellt –, da die Lage nun einmal ist, wie sie ist. Aber ein wenig wundert man sich doch über die Eifrigkeit, mit der die Homosexuellen und ihre gemessen an ihrer Zahl erstaunlich einflussreiche politische Lobby nach diesem ehelichen Status streben. Man soll ja nicht meinen, es gehe nur um steuerliche Vorteile wie das Ehegattensplitting; das ist eine Symboldiskussion, die nächste, das Adoptions“recht“ (als ob es ein „Recht“ auf Adoption und auf Kinder gäbe), steht schon vor der Tür, und auch das ist nur eine Etappe auf dem Weg zur „Homo-Ehe“ im eigentlichen Wortsinn, also völliger rechtlicher Gleichstellung; mindestens so lange wird immer noch von Diskriminierung die Rede sein.

Wenn es nun freilich so weit kommt – und es gibt wenig Grund, daran zu zweifeln, dass die meisten von uns es noch erleben werden –, wird das Etikett Ehe, das die Homosexuellen dereinst erstritten haben werden, nicht mehr sehr viel wert sein. Bereits jetzt ist die Ehe ja weitgehend ausgehöhlt, übrigens ganz ohne, dass das Thema Lebenspartnerschaft eine wesentliche Rolle gespielt hätte, denn die Entwicklung ist schon viele Jahrzehnte alt. Die alte Form der Ehe als lebenslange Bindung zwischen Mann und Frau ist ja mittlerweile das Rollenmodell einer Minderheit geworden. Die Scheidungsquote, die Zahl der Single-Haushalte und der Patchwork-Familien sprechen für sich; die Rechtsprechung hat reagiert, indem sie die Rolle der unehelichen Kinder, der unehelichen Väter Stück für Stück gestärkt hat. Jede dieser Lebensformen ist gesellschaftlich inzwischen so akzeptiert, dass niemand mehr heiraten „muss“; jeder kann seinen Vorlieben frönen. Sodass man sich durchaus ernsthaft fragen kann, welche Funktion die Zivilehe, also der staatlich ausgestellte Trauschein heute eigentlich noch hat.

Als die Zivilehe vor 130 Jahren eingeführt wurde vom Reichskanzler Bismarck, übrigens als Nebenprodukt des Kulturkampfs gegen die katholische Kirche, hatte sie ihre Berechtigung, denn damals war die Ehe die einzige sozial voll akzeptierte Lebensform, die ein um religiöse Neutralität bemühter Staat der Hoheit der Kirche nicht mehr überlassen konnte. Auch noch vor 50 Jahren, als die rheinisch-katholische CDU gegen den Sozialdemokraten Willy Brandt („Herbert Frahm“) ob dessen unehelicher Geburt noch mit Erfolg einen schmutzigen Wahlkampf führen konnte. Heute aber ist die Lage anders; die Ehe ist nicht mehr selbstverständlich. Warum sie dann staatlich privilegieren, warum sie überhaupt staatlich beglaubigen und damit zu einer öffentlichen Angelegenheit machen?

Beliebigkeit

Einen Grund gibt es immerhin noch, der allerdings auch scharfe Grenzen mit sich bringt; überschreitet man sie, gerät man ins Reich der Willkür. Der Staat hat aus seinem eigenen Überlebensinteresse heraus das natürliche Bestreben, die Geburtenrate auf einem in etwa bestandserhaltenden Niveau zu halten; im schrumpfenden, alternden Deutschland zumal. Zwischen Eheschließung und Nachwuchs besteht eine signifikante Korrelation. Der Staat begünstigt Eltern von Kindern, finanziell und rechtlich; er begünstigt eine häufige Vorstufe des Kindersegens, die Ehe, finanziell und rechtlich. Freilich, als Vorstufe, als Keimzelle einer Familie, nicht als Einrichtung an sich; darum bleibt der Status folgerichtig begrenzt auf Mann und Frau, bei denen eigene Kinder eine Wahrscheinlichkeit, mindestens eine theoretische Möglichkeit sind. Natürlich ist Ehe nicht nur Fortpflanzung, ist auch Sexualität nicht nur Fortpflanzung. Aber der Fortpflanzungsaspekt alleine ist es, der sie aus staatlicher Sicht förderungswürdig macht. Andere Lebensgemeinschaften schließt das aus.

Eine Diskriminierung von Homosexuellen liegt in der Privilegierung der Ehe so wenig, wie das Kindergeld eine Diskriminierung von Kinderlosen ist. Sie gehören einfach nicht zur Zielgruppe der Förderung; so wenig wie Betreiber von Kohlekraftwerken zur Zielgruppe der Solarförderung oder die industrielle Landwirtschaft zur Zielgruppe für die Förderung des Bioanbaus. Eine Ungleichbehandlung, gewiss, aber eben eine Ungleichbehandlung von Ungleichem. Es wird nicht eine Gruppe benachteiligt; es wird eine andere aus einem legitimen Interesse heraus bevorzugt.

Im übrigen mag jeder leben wie er will und in seinem Schlafzimmer tun, was er will. Auch mit der öffentlichen Zurschaustellung von „gay pride“ wird man in einem freien Lande leben müssen, wenn man den Christopher-Street-Day und ähnliche Veranstaltungen auch persönlich reichlich obszön finden mag. Seine Lebensweise soll jeder selbst bestimmen, chacun à son goût. Aber er soll dafür nicht Begriffe und Rechtsformen in Anspruch nehmen, die für seinen Fall nicht gedacht sind, und es Diskriminierung nennen, wenn ihm das verweigert wird.

Wenn das Kriterium, dass der Staat an ausreichend Nachwuchs ein Interesse hat und dieser nach Eheschließung mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, für die einseitige Bevorzugung der Ehe zu willkürlich ist, dann ist die Begrenzung auf Zweiergemeinschaften, die irgendwie sexuell miteinander verkehren, noch sehr viel willkürlicher. „Konservative Werte“, wie von Ministerin Schröder angeführt, durch das Übernehmen von gegenseitiger Verantwortung praktiziert, können auch in anderen Gemeinschaften gelebt werden, die bislang keinen ehelichen Status erhalten können. Die Geschwisterehe wäre ein möglicher Fall, gegen die auch nicht mehr spricht als historisch gewachsene Moralvorstellungen; die Polygamie ebenfalls, bei der freilich noch hinzukommt, dass sie historisch mit der Geschichte der Frauenunterdrückung verbunden ist und insofern ein rotes Tuch für die mächtige Feministenlobby darstellt. Und warum sollen eigentlich Bewohner eines Mehrgenerationenhauses, die füreinander bindende Verantwortung übernehmen wollen, nicht „heiraten“ dürfen in dem Sinn, dass sie eine staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft bilden mit bestimmten Rechten und Pflichten und finanzieller Förderung? Gewiss, eine Bindung fürs Leben ist das nicht immer; aber Ehen werden auch geschieden.

Die logische Konsequenz

Am Ende des Tages wird von den Begriffen Ehe und Familie, von den dahinterstehenden Wertvorstellungen und der damit verbundenen jahrtausendealten Kulturtradition nicht sehr viel übrig bleiben. Wenn jedermann und jede Lebensweise privilegiert ist, ist niemand privilegiert; ein Effekt auf die Geburtenrate ist dann auch nicht mehr zu erwarten, der freilich bei den meisten familienpolitischen Förderungsmaßnahmen empirisch fragwürdig ist. Statt jedermann zu bevorzugen, kann man dann auch niemanden bevorzugen, was konsequenter und ehrlicher wäre. Das hieße: Abschaffung jeder staatlichen Privilegierung von Lebensgemeinschaften, finanziell und rechtlich; und da schon im Titel selbst eine Privilegierung liegt: Abschaffung der Zivilehe an sich.

Wer dann noch Wert darauf legt, zu heiraten, also eine förmliche lebenslange Bindung einzugehen, der kann es genauso gut auf die althergebrachte Weise tun, in der Kirche und vor Gott; den sinnentleerten staatlichen Trauschein braucht es dazu nicht mehr.


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