Stillhalten lohnt sich nicht

Was die Spatzen schon seit Wochen von den Dächern gepfiffen hatten, ist nun also eingetreten: Schwarz-Gelb hat die wichtige Landstagswahl in Nordrhein-Westfalen verloren. Deutlicher noch, als die letzten Umfragen es erwarten ließen.


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Die Ursachenforschung gleicht trotz aller demoskopischen Hilfsmittel einem Rätselraten. Gewiss, vieles dürfte hineingespielt haben: Die mäßigen Beliebtheitswerte des Ministerpräsidenten Rüttgers, zusätzlich beschädigt durch die kleineren Skandälchen in der Parteifinanzierung; der bundesweite Abwärtstrend der FDP und ihres Vorsitzenden; die allgemeine, andauernde Schwäche der Volksparteien. Was den Ausschlag gegeben hat, ist schwer zu ermessen.

Auch wegen methodischer Unschärfen. Auf die Aussagen in Umfragen, nach denen die Mehrheit der Wähler nach landes- und nicht nach bundespolitischen Kriterien entscheidet und keine Regierung bewusst abstraft, darf man nicht allzu viel geben; das sind klassische Beispiele sozial erwünschter Antworten, denn Abstrafen und Abstimmen über Personen und Sachverhalte, die nicht eigentlich zur Wahl stehen, gilt als unschick. Ein gerüttelt Maß an Abstrafung für das Regieren in Berlin dürfte im Wahlergebnis also dennoch enthalten sein. Und auch für das Nichtregieren. Umstrittene Steuersenkungen, umstrittene Griechenlandhilfen – das mag ein Teil der Antwort sein. Enttäuschung über die abwartende, passive Politik des letzten halben Jahres ist der andere.

Die Rechnung ist nicht aufgegangen

Keine krisenerprobte, sachliche Politik der ruhigen Hand wurde imageprägend für das Kabinett Merkel II, sondern übervorsichtiges Status-quo-Denken mit dem leisen Verdacht des Verschweigens künftiger, aber unvermeidlicher Härten. Dass erst die neueste Steuerschätzung abgewartet werden müsste, um priorisieren zu können zwischen Steuersenkung und Haushaltssanierung und überhaupt einmal erste Sparvorhaben beginnen oder auch nur entwerfen zu können; dass das Zögern bei den Griechenland-Hilfen, das die Rechnung voraussichtlich um eine Milliarden höher ausfallen ließ, allein dem Beharren auf der Sparvorleistung der Griechen geschuldet war: Kaum jemand hat solches je so recht geglaubt; immer haftete der Geruch von Wahltaktik am Zögern und Zaudern. Bloß nichts Unpopuläres vor der wichtigen Landtagswahl.

Diese Rechnung, wenn es sie denn gegeben hat, ist nicht aufgegangen. Ein halbes Jahr lang hat die Politik nahezu pausiert. Umsonst, wie sich nun herausstellt. Nun, aus Fehler kann man lernen. Wird sich die Linie nun also ändern? Wird Berlin an Tempo zulegen?

Leichter wird es nicht. Die Bundesratsmehrheit ist dahin; die Große Koalition wird über den Umweg Vermittlungsausschuss wiederkehren. Hochfliegende Steuersenkungspläne stoßen nicht mehr nur unter einigen Unions-Haushaltspolitikern, sondern absehbar auch in der Legislative auf Widerstand. Auch andere Vorhaben werden schwieriger, das Regieren insgesamt unangenehmer, die Regierungsparteien nervöser. Klammheimliche Freude über ein besseres Klima für präsidiale Konsenspolitik wird daher auch Merkel nicht empfinden, auch für sie wird der Alltag unangenehmer. Aber sie wird für 2013 erneut umlernen müssen. Die Hauptlehre aus ihrem pointierten Wahlkampf 2005 war: Klare Konzepte, Reformen, Ehrlichkeit werden nicht vom Wähler nicht belohnt; unscharf bleiben, nicht anecken – das ist das Erfolgsrezept. Die Hauptlehre aus NRW ist, dass reines Abwarten für Regierungsparteien auf Dauer auch nicht genügt. Das Volk erwartet Führung. Stillhalten lohnt sich nicht.


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