Streit und Skandal

Fünfzig Jahre Spiegel-Affäre, dazu zehnter Todestag: Ein Rückblick lohnt sich auf den großen deutschen Journalisten Rudolf Augstein. Seine Vita bietet mehr als die Feindschaft mit Franz Josef Strauß.


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Alle großen Ideale haben tragische Märtyrer und strahlende Helden. Im Fall des Ideals Pressefreiheit sind diese beiden Rollen in der neueren deutschen Geschichte sehr eindeutig vergeben: an Carl v. Ossietzky und Rudolf Augstein. Ossietzky, der gegen illegale Aktionen der Reichswehr agitierte, starb, schon zu Weimarer Zeiten wegen Landesverrats verurteilt, 1938 in Gestapo-Haft; Augstein, gleichfalls kurz wegen Landesverrats eingesperrt, ging als Sieger aus dem Kampf mit der Staatsmacht hervor und wurde zu einer der prägenden Gestalten der deutschen Nachkriegsdemokratie.

Hans Dietrich Genscher, einst Parteifreund Rudolf Augsteins, hat von der Spiegel-Affäre als „Katharsis der Bundesrepublik“ geschrieben, Augstein selbst meinte, nach der Affäre habe man in Deutschland eine parlamentarische Demokratie gehabt, „die wir so vorher nicht hatten“. Das mag man etwas überzogen finden, zweifelsohne aber war die Spiegel-Affäre eines der einschneidenden Ereignisse der Nachkriegszeit, und Augstein war ihre eigentliche Hauptfigur.

Rein äußerlich hat die Spiegel-Affäre gewisse Ähnlichkeiten mit der Cicero-Affäre von 2005, bei der das Bundeskriminalamt – illegalerweise, wie inzwischen höchstrichterlich festgestellt – die Redaktionsräume des Magazins durchsuchen ließ, um einen Informanten zu ermitteln. Ausmaß und tieferer Grund sind jedoch deutlich verschieden. Gewiss, in beiden Fällen ging es um Geheimnisverrat. Aber die eigentliche Zielrichtung der Staatsmacht war 1962/63 eine ganz andere. Der Spiegel der fünfziger und frühen sechziger Jahre war ein Oppositionsblatt in der Adenauerzeit, entfernt vergleichbar der „Zukunft“ Maximilian Hardens zur Kaiserzeit, und als solches hatte es im Staatsapparat viele Feinde. Nicht genug, dass Augstein und seine Getreuen den Regierenden mit investigativem Journalismus kritisch auf die Finger blickten: Mit dem ausgegebenen Ziel, Adenauer wegzuschreiben und Strauß zu verhindern, hatten sie sich viele persönliche Feinde gemacht, die nun, mit der vermeintlich landesverräterischen Titelgeschichte über das NATO-Manöver Fallex 62, den Moment der Abrechung gekommen sahen.

Früh zur Legende geworden

Ironischerweise erreichte Augstein durch die 103 Tage Haft in Koblenz mehr als durch Jahre geduldigen Schreibens und Recherchierens. Adenauer und Strauß, durch Wahlen nie gefährdet, hatten sich ersichtlich verkalkuliert. Die Welle der Solidarität, die der Spiegel öffentlich und auch im Parlament erfuhr, brachte Strauß um sein Ministeramt und ließ auch die Kanzlerschaft Adenauers früher enden als geplant. Sein politisches Hauptziel hatte Augstein damit erreicht und nebenbei ein Fanal der Pressefreiheit in der jungen Bundesrepublik gesetzt – unfreiwillig, mehr als Objekt denn als eigentlich Handelnder.

Mit der Spiegel-Affäre kam auch ein Bruch in Augsteins Leben selbst. Sie stellte ungewollt den Höhepunkt seiner Laufbahn dar – einen sehr frühen Höhepunkt und damit eine Art Leitmotiv. Vieles trat verfrüht ein im Leben des 1923 in Hannover geborenen Mannes, der mit neunzehn in den Krieg zog und, im Frieden, mit nur dreiundzwanzig Chefredakteur und auch Herausgeber des ersten deutschen Polit-Magazins wurde – und den zweiten Posten bis an sein Lebensende nicht mehr abgab. Man kann resümieren, „dass er seltsam fertig war“, wie Joachim Fest gesagt hat, „als er in sehr jungen Jahren die Bühne betrat“. Und „mit siebenundzwanzig Jahren machte Augstein die verblüffende und zugleich erschreckende Bemerkung, er habe in seinem Leben eigentlich alles erreicht.“

Vielleicht nicht mit siebenundzwanzig, aber doch mit vierzig. Nach der Haftentlassung war er zur Ikone geworden, zum Denkmal der Pressefreiheit in Deutschland. Das hing ihm nach; noch im Jahr 2000 wählte man ihn zum „Journalisten des Jahrhunderts“ – eben dieser Affäre wegen, nicht wegen seiner eigentlich journalistischen Leistungen, was Augstein wohl vorgezogen hätte.

Nach 1963 stürzte er sich in Ersatzbeschäftigungen. Ganz offenkundig gilt das für sein parteipolitisches Engagement – ein merkwürdiger, ihm wohl selbst nicht ganz erklärlicher Flirt mit dem Bonner Parlamentsbetrieb. 1957 war Augstein in die FDP angetreten, von ihr ließ er sich zur Bundestagswahl 1972 aufstellen; im Wahlkreis Rainer Barzels, dem er natürlich haushoch unterlag, was den Einzug über die Liste aber nicht verhinderte.

Als ihm sehr rasch klar wurde, dass Aussichten auf den Fraktionsvorsitz nicht bestanden und er allzu bald im Hinterbänklerdasein versinken würde, machte er den Rückzieher. Das Argument, mit der Berufung des Spiegel-Chefredakteurs Günter Gaus zum Ständigen Vertreter Bonns in Ost-Berlin sei die Rückkehr zum Spiegel unvermeidlich, war vorgeschoben; Augstein selbst hatte Gausens Weggang befördert. Seine Zeit als Parlamentarier war kürzer noch als seine Haftzeit. Verwerfungen erzeugte das nicht. Augstein-Biograph Dieter Schröder berichtet: „Augsteins Karriere in Bonn war zu kurz, um das Bedauern und die Befürchtungen allzu stark werden zu lassen. Irgendwie schienen alle froh zu sein, dass Augsteins politisches Abenteuer ein glimpfliches Ende gefunden hatte.“ Augstein selbst, mag man anfügen, wohl von allen am meisten.

Streitbarer Publizist

Mehr Ausdauer denn als Politiker bewies Augstein als Buchautor. Zwei opulente Werke hat seine Feder hervorgebracht, 1968 und 1973 zuerst erschienen und mehrfach neu aufgelegt. Die Wahl seiner Helden lässt erahnen, dass ihm mit Adenauer und Strauß die Gegner abhanden gekommen waren und er nach Ersatz suchte, und sie drückt auch sein Selbstbewusstsein aus. Johannes Gross hat ihm einmal witzelnd vorgehalten, er habe „das Buch über Friedrich den Großen geschrieben, ein paar Jahre darauf das Werk über Jesus. Und wenn Sie sich nun weiter mit so großen Schritten steigern wollen, bleibt ihnen nur die Autobiographie.“ Zu der kam es nicht mehr. Es wäre Augstein wohl auch schwer gefallen, den Stil seiner beiden Erstlinge beizubehalten, in denen er sich vornehmlich als Legendentöter betätigt – freilich mindestens im Falle Friedrichs um den Preis, eine neue Legende aufzurichten. Beide Bücher, „Preußens Friedrich und die Deutschen“ wie auch „Jesus Menschensohn“, glänzen mit einer Unmenge an Quellen und Tatsachen – der Anhang umfasst jeweils über einhundert Seiten –, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass damit nur eine vorgefasste These bestätigt werden soll. Freilich gilt die Stoßrichtung weniger den Figuren selbst als ihren Apologeten, der preußisch-deutschen Geschichtsschreibung der Vorkriegszeit mit den Fridericus-Rex-Darstellungen eines Otto Gebühr einerseits, der christlichen Theologie andererseits, gegen die Augstein, seinem streng katholischen Elternhaus entwachsen, eine tiefe Abneigung hegte.

Augstein hat einmal bekannt, es sei ihm stets leichter gefallen, gegen als für etwas zu sein. Daran ist viel Wahres, und es übertrug sich auf seine Redaktion. Hans Magnus Enzensberger urteilt über den frühen Spiegel: „Alle bisherigen Versuche, dem Blatt irgendwelche Überzeugungen zuzuschreiben, sind gescheitert. Das Blatt hat keine Position.“ Und er fährt noch schärfer fort: „Die Ideologie des Spiegel ist nichts weiter als eine skeptische Allwissenheit, die an allem zweifelt außer sich selbst.“

Wofür stand Augstein nun eigentlich? Er gibt einige Rätsel auf. Als in den Siebzigern die betriebliche Mitbestimmung in Mode kam und auch die Spiegel-Redaktion gegen seine Alleinherrschaft aufbegehrte, hielt Augstein seiner Belegschaft eine beschwichtigende Rede. Sie endete so: „Eine Nacht der langen Messer findet nicht statt. Mitbestimmung, vollverantwortliche Selbst- und Mitbestimmung aus den bestehenden Institutionen heraus, bleibt unser Ziel … Wir sind und bleiben eine liberale, eine im Zweifelsfall linke Redaktion.“ Linker Egalitarismus aber war ganz und gar nicht der Stil, in dem Augstein seinen Verlag führte. Er konnte eisenhart sein – die Mitstreiter der frühen Jahre, die den Spiegel mitbegründet hatten, drängte er gegen Abfindungen aus dem Verlag, die Rädelsführer der Redaktionsrebellion ermittelte und entließ er, und die Forderung nach Mitbestimmung parierte er trickreich, indem er den Mitarbeitern Anteile am Verlag übereignete. „Wenn es um Macht oder Geld ging hat Augstein nie Spaß verstanden“, so zitiert Schröder Augsteins langjährigen Weggefährten Erich Böhme.

Aufrechter Patriot

Politisch hat ihn Dolf Sternberger zwischen den politischen Lagern verortet, als den letzten Nationalliberalen, „im besten Sinne der Bismarck-Zeit“. Das trifft es wohl. Augsteins Bismarck-Verehrung, erstaunlich doch angesichts seines Argwohns Preußen und Preußen-Deutschland gegenüber, erhält so plötzlich einen Sinn; ebenso seine Abneigung gegen Adenauer, der Westbindung vor Einheit proklamierte, wie das Plädoyer für die Wiedervereinigung 1990, der allzu viele linke Intellektuelle reichlich skeptisch gegenüberstanden. Augstein hatte bei aller Sympathie für das linksliberale Lager eine „deutschnationale Grundierung“, wie Fest es treffend genannt hat. Der 1962 erhobene Vorwurf des Landesverrats wird dadurch vollends absurd. Augstein hätte nie ein Verräter sein wollen.

Ihn einzuordnen fällt gleichwohl nicht leicht. Er bleibt weniger als Journalist in Erinnerung denn als Schöpfer des Spiegel. Seine großen Kommentare, in der frühen Zeit noch unter Pseudonym, kennt man außerhalb des Hauses kaum mehr. Seine Schöpfung aber lebt fort, bis heute. Und so ist es ganz treffend, dass seine unfreiwillig größte Stunde nicht nach ihm oder seinem Gegner Strauß benannt ist, sondern weiter Spiegel-Affäre heißt.

Zuletzt: Was bleibt von ihm? Wir zitieren zum Abschluss noch einmal Joachim Fest: „Das war und bleibt Rudolf Augsteins größte Leistung: dass er den öffentlichen Streit in diesem Land zwar nicht gerade heimisch gemacht, ihm aber doch das seit alters Anstößige genommen hat. Gewiss ging das bisweilen nicht ohne Verletzungen ab und nicht immer ohne präzeptorale Arroganz. Aber notwendig war es und ein so wegweisender Schritt ins Künftige auch, dass manche dafür selbst den Eindruck in Kauf nahmen, der Skandal sei Augstein mitunter wichtiger als das Gemeinwesen, dem er zu dienen beanspruchte.“


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