Untergänge überall

Felix Dahns Klassiker über die Tragödie der Ostgoten hat viel seiner alten Beliebtheit eingebüßt. Einst Jugendroman für ganze Generationen, geht er langsam in den Exotenstatus über. Die alte, treue Leserschaft mit ihrem festgefügten Urteil besteht nicht mehr. Chance für einen frischen Blick.


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Das Cover der Neuausgabe zeigt es schon. Vercingetorix streckt die Waffen vor Julius Cäsar. Nun, gewiss, Barbaren unterliegen Römern, das passt schon irgendwie; nur liegt Cäsars Triumph ungefähr sechshundert Jahre vor den Ereignissen, die im Roman erzählt werden. Für diese letzteren allerdings fehlen uns die ikonischen Szenen und Figuren. Sie fallen, für uns Mitteleuropäer, in ein vergessenes Jahrhundert. Für die jedenfalls, bei denen Felix Dahns Roman nicht mehr in der Hausbibliothek steht.

 

Postimperiale Räume

Im 6. Jahrhundert ist Rom nur noch ein Schatten alter Größe

In diesem Jahrhundert, dem sechsten, nachdem der Erlöser am Kreuze starb, ist das römische Weltreich zerfallen. Im Westen herrschen die Barbaren; Franken in Gallien, Westgoten in Hispanien, Vandalen in Africa, Langobarden in Pannonien. Den Westkaiser gibt es nicht mehr. An seiner Stelle thront in Ravenna der Gotenfürst Theoderich; aus römischer Sicht als Statthalter, aus gotischer als König von eigenem Recht. Milde und weise regiert er über seine Völker, einheimische Römer ebenso wie zugewanderte Goten. Die spätantike Zivilisation besteht noch fort in einer Mischung aus Niedergang und letzter Blüte. Aber unter der Oberfläche gärt es. Theoderich ist alt und wird bald sterben. Enkel Athalarich, sein Erbe, ist noch minderjährig. Ein Machtvakuum droht. Gar mancher plant hineinzustoßen: ehrgeizige Höflinge ebenso wie römische Patrioten, die ihre Heimat von der Gotenherrschaft befreit sehen wollen.

In Konstantinopel besteigt derweil Justinian der Erste den römischen Kaiserthron. Das Ostreich lebt und blüht, aber seine Kräfte sind gebunden durch den blutigen Dauerkonflikt mit den persischen Sassaniden, der anderen Weltmacht des Jahrhunderts. Überdies will Justinian auch als Bauherr, Rechtsgelehrter und Heidenbekehrer glänzen. Die Mittel für die Wiedergewinnung der Westprovinzen sind knapp. Justinian zeigt auch hier beträchtlichen Ehrgeiz; bedarf aber neben dem Einsatz blanker Macht auch großer List und Tücke. Bald beginnen die oströmischen Gesandten, rivalisierende Gruppen am gotischen Hof gegeneinander auszuspielen, in der Erwartung, dass eine von ihnen das kaiserliche Heer bald als Retter und Befreier herbeirufen möge.

 

Staatsmann und Giftmischer

Mitten in dieses historische Panorama verpflanzt Dahn nun die gänzlich erfundene Figur des Cornelius Cethegus Cäsarius; römischer Senator, Patrizier aus dem Geschlecht der Julier und Kopf einer Verschwörung, die Rom wieder frei machen will: von den Goten ebenso wie vom fernen Kaiser in Konstantinopel. Italien als wieder mächtiges, faktisch eigenständiges Reich, mit Cethegus selbst als kaiserlichem Statthalter – mindestens; eher Größeres.

Machtmittel aber fehlen. Einiges kann Cethegus den misstrauischen Goten abtrotzen. Roms Mauern werden instandgesetzt, eine bescheidene Wache bewilligt, die man im Geheimen zu einem kleinen, kampfkräftigen Heer ausbaut. Aber die Freiheit erkämpfen lässt sich damit nicht. So manövriert Cethegus zwischen Mächtigeren, hofft, das Zünglein an der Waage zu sein und am Ende für sich und sein Volk das Beste herauszuschlagen. Jongliert zugleich mit vielen Bällen: den Königserben und rivalisierenden Fraktionen in Ravenna, namentlich den Damen am Hofe; mit der Kaiserin Theodora, den Heermeistern Belisar und Narses, dem Historiker Prokop in Konstantinopel; mit Bischof, Senat und Volk von Rom und manchen mehr. In den Mitteln ist Cethegus nicht eben zimperlich; Lüge, Intrige, Komplott und Mord sind übliche Werkzeuge. Seine Verbündeten wechseln wie die Jahreszeiten, wen er eben begünstigt, lässt er im nächsten Augenblick fallen.

Auch in dem großen Krieg, der bald ausbricht, wechselt mehrfach das Schlachtenglück. Bald wird Neapel, bald Rom belagert, mal stehen die Römer vor Ravenna, mal die Goten vor Konstantinopel, eben glaubt Cethegus sich beinahe am Ziel, dann steht er wieder fast allein und aller Macht beraubt. Am Ende gewinnt die Überzahl, ohne dass es irgendwem auf Dauer Glück brächte. Die Goten geschlagen, vertrieben oder versklavt; die Italier nicht frei, ihr Land zerstört; die Oströmer siegreich, doch nur für eine kurze Weile. Bald herrschen wieder andere auf der Halbinsel.

 

Historiker im Nebenberuf

Felix Dahn, klassischer Professoren-Schriftsteller (1834-1912)

In den großen Zügen erzählt Dahn diese Geschichte einigermaßen akkurat, was seinem Anspruch durchaus entspricht. Eigentlich preußischer Rechtsprofessor, veröffentlichte er auch umfangreiche Forschungsliteratur über die Völkerwanderung und den Gotenkrieg, namentlich über Prokop von Caesarea, Chronist der Herrschaft Justinians und bis heute die wichtigste Quelle. Folgerichtig müht er sich, den historischen Rahmen der Erzählung so adäquat wie möglich darzustellen.

Natürlich sieht die historische Forschung eineinhalb Jahrhunderte später manches anders. Namentlich das Bild der Oströmer hat sich gewandelt. Dahn nennt sie schon Byzantiner; nur selten Romäer (gräzisiert für Römer) und immer etwas spöttisch in Anführungszeichen. Heute sieht man diese Transformation unter Justinian, der noch Latein als Muttersprache hatte, längst nicht so weit fortgeschritten und seine Zeit noch eher als Teil der römischen Spätantike als des byzantinischen Mittelalters. Auch betont die Forschung mittlerweile die Wirkung von Schicksalsschlägen, Seuchen und Naturkatastrophen, deutlich stärker als Ursache, warum Justinians Restauratio imperii nach Anfangserfolgen so rasch abbrach. Solche nicht menschengemachten Einflüsse kommen bei Dahn kaum am Rande vor; stattdessen die traditionelle Lesart von Dekadenz, Verfall und Herrscherwillkür.

Manches hat sich aber auch bestätigt. So das Urteil über die Regierung Theoderichs als letzter Blüte des spätantiken Italien. Ohne die weströmischen Kaiser zwar, doch auch ohne deren Kriege und Rivalitäten, die erst die barbarischen Söldner ins Reich geholt hatten. Dafür mit intakter römischer Zivilisation; Kirche, Senat, Verwaltung. Der große Bruch wird heute nicht mehr im Ende des westlichen Kaisertums 476/480 gesehen, sondern tatsächlich im Gotenkrieg, der insbesondere für das mehrfach belagerte und eroberte Rom den endgültigen Ruin bedeutete.

In diesem Kernbereich verkürzt und vereinfacht, vom dramatischen Standpunkt aus gesehen, Dahn eher zu wenig als zu viel; geht all die glücklosen Gotenherrscher ausführlich durch. Und da der erzählerische rote Faden darin besteht, dass sie überwiegend durch Cethegens Ränke zu Fall kommen, zieht die Kette der Palastintrigen sich doch arg in die Länge. So dass es gelegentlich etwas eintönig wird und man sich fragt, ob von den elfhundert Seiten nicht drei- oder vierhundert leicht hätten eingespart werden können.

 

Poetisch wenig wert?

Worin denn auch, wie bei anderen Gelehrtenromanen des späten neunzehnten Jahrhunderts, der Hauptansatzpunkt der älteren Kritik liegt. Zu professoral; zu sehr an Tatsachen orientiert, zu wenig Phantasie und dichterische Kraft. Der Germanist Friedrich Gundolf spottet in seiner Deutschen Literärgeschicht über die schriftstellernden Professorenkollegen: „Vergesst nicht den Geschichtsroman: / Ägypten-Ebers, Gothen-Dahn … / Und tausend andere … bunt gelehrt / Poetisch aber wenig wert.“

Nun, ganz gerecht ist das wohl kaum, ganz verkehrt freilich auch nicht. Sprachlich ist Ein Kampf um Rom kein Meisterwerk; zu schwülstig der Stil, der permanente hohe Ton mit unzähligen vorangestellten Genitiven. „Unverjährbar ist der Römer Recht auf Rom.“ „Kein Weib kann stehen in der Goten Thing.“ „Du hast der blutgewohnten Diener genug.“ „Ehrenvoller ist der Goten Untergang denn unser Sieg.“ – Was als Ton bei Hofe wohl noch durchgehen würde; allerdings sprechen im Roman fast alle so, herunter bis zur Bauernmagd und zum letzten Sklaven.

Nun mag man sagen, so war eben der Stil im späten neunzehnten Jahrhundert; andere aber schrieben anders damals oder kurz danach, Nietzsche, Fontane; es nicht nicht so, dass die deutsche Sprache nichts Besseres hergegeben hätte. Freilich: Drei Generationen von Lesern scheint es gefallen zu haben, jedenfalls störten sie sich wenig oder gewöhnten sich daran. Also soll man vom hohen Kritikersitz herab nicht zu sehr mäkeln.

Mangelnde Phantasie, der andere Vorwurf, trifft die Sache durchaus nicht. Der Cethegus ist brillant erfunden und für die Antike lebensecht in seiner Mischung aus Herrscherpracht und Verbrechertum. Hassens- und bewundertswert zugleich. Groß in seiner Willenskraft, in der römischer Patriotismus und persönlicher Ehrgeiz zusammenfließen. Niedrig, verächtlich in seinen Methoden. Zynisch und amoralisch bis zur Gotteslästerung. Grausam gegen Feinde wie Verbündete. Eisern aber auch gegen sich selbst, gehärtet und gereift durch frühen Verlust und bereit zum letzten Opfer. „Der letzte Römer“ – jedenfalls so, wie man sich einen römischen Tyrann sehr glaubhaft vorstellen kann.

 

Germanischer Volkscharakter

Die Goten in Dahns Darstellung erfüllen ungefähr jedes historische Klischee

Drumherum allerdings wird vieles flach, und nicht nur flach, sondern ungünstig ideologisch verfärbt. „Völkisch“ nennt man das heute und kulturpessimistisch. Weshalb Dahn gelegentlich eingereiht wird in eine bedenkliche Tradition, die über Langbehn, Spengler, Moeller van den Bruck endet, nun, man weiß schon wo. Einseitig vielleicht; aber angesichts der alldeutschen Gesinnung des Autors wäre es auch nicht richtig, den Roman gänzlich ideologiefrei zu lesen.

Die beteiligten Völker jedenfalls sind schnell einsortiert. Die Goten: urwüchsig, lebenskräftig, aufrecht, ehrlich und treu; tapfer außerdem und kampfestüchtig – wenn sie Schlachten verlieren, dann durch Betrug und Verrat. Großmütig auch in ihrer rauen Schale, selbst im Umgang mit besiegten Feinden. Nicht auf Vernichtung der Römer aus, sondern auf friedliche Koexistenz. Die eine Fraktion in kultureller Anpassung an die antike Zivilisation, die andere in stolzer Bewahrung ihrer Stammestradition. Alle aber streben nur nach einem Leben in Freiheit und Würde; nicht nach Unterwerfung anderer.

Dagegen die Römer. Aus alter Größe kommend, aber überall in Verfall. Feigheit und Verweichlichung haben sich breitgemacht. Ehrgeiz, Freiheitsdurst verspüren nur noch wenige. In Italien glauben sie, nur noch zwischen fremden Herren wählen zu sollen, den Barbaren oder Justinian. Mehrfach drehen sie ihr Fähnlein nach dem Wind. – Mit den Oströmern steht es besser in Dingen der äußeren Macht, aber innerlich verfaulen auch sie. Ihre Kriege führen sie nicht mehr selbst; stattdessen mit Vielvölkerheeren, „bunt zusammengesetzt aus barbarischen Haufen“ bis hin zu hunnischen Söldnern. Als der Kaiser Rat sucht im Angesicht der gotischen Bedrohung, geben Senatoren, Beamte, Bischöfe ein erbärmliches Bild ab. Kapitulationsbereitschaft überall.

Zwar wird das Schema manchmal durchbrochen. Die Fähigkeit zum Intrigenspinnen zeigen auch einige Goten, so dass man an Jacob Burckhardts Eindruck erinnert wird, es hätten „die Germanen ihre Rasseeigenschaften eingebüßt und von den Römern nur das Böse angenommen“. Aber bei Dahn sind die Intriganten meist hassende Weiber, die ihr Tun dann bedauern, wenn das Ende kommt. Oder solche Goten, die bereits stark romanisiert, „verwelscht“ sind wie der schändliche Verräterkönig Theodahad. Über den seine Landsleute übrigens in einem eindrucksvollen, ehrlich um Gerechtigkeit bemühten Gerichtsverfahren urteilen samt bestelltem Pflichtverteidiger, so dass man den Eindruck gewinnen kann, das moderne Recht habe seine Wurzeln eher im germanischen Thing als im Codex Iustinianus.

Umgekehrt findet sich echte Größe auch noch unter den Römern. Cethegus wirkt nicht nur als Giftmörder und Ränkeschmied; er zeigt, wenn es darauf ankommt, auch großes Feldherrengeschick und persönliche Tapferkeit im Kampf. Nicht zu reden vom Heermeister Belisar, den auch die Goten als Held anerkennen. Aber diese beiden gelten deutlich sichtbar als die letzten ihrer Art; der letzte Römer, der letzte Heros; der Fuchs Justinian wohl auch als letzter Kaiser von echtem Rang.

So dass am Ende alles auf Verfall und Untergang hinsteuert. Auch die gotischen Führer ahnen ja von Beginn, dass die Tage ihrer Herrschaft gezählt sind. Geloben aber tapfer zu streiten bis zuletzt. Graf Teja gleich zum Auftakt in düsterer Vision: „kämpfen wollen wir, dass man es nie vergessen soll in allen Tagen: Kämpfen mit höchstem Ruhm, aber ohne Sieg. Der Stern der Goten sinkt.“ So am Ende, als er übrig ist als letzter König: „Nicht freudig leben, nur herrlich sterben sollt ihr unter mir.“ Entsprechend sein großer Endkampf zu Füßen des Vesuv; bereit, Frauen und Kinder eher in die Lavaglut zu stürzen, denn sie als Sklaven nach Konstantinopel schaffen zu lassen; wozu es nicht kommt, weil König Harald mit seiner Wikingerflotte die germanischen Brüder heimholt nach Thuleland. Für die Krieger aber kommt das Ende mit Feuer und Schwert. Was die Zeitgenossen wohl mit den letzten Nibelungen assoziieren mussten in Etzels brennender Halle. Unsereiner heute denkt bei so viel Untergang und Todesliebe eher an den Führerbunker.

 

Was geht, was bleibt

Dafür allerdings können die alten Goten nichts. Und vielleicht wäre es an der Zeit, den historischen, bleibenden Kern in Dahns Erzählung und das, was an alten, verbrauchten Ideen beigemischt ist, auseinanderzusortieren, sich an das eine zu halten und das andere beiseitezulegen. Die völkische Germanentümelei ist ja selbst mittlerweile in den Nebel der Geschichte entschwunden. Wenn wir heute an Goten und Römer denken, liegt uns das so fern wie die alten Babylonier, Phönizier und Ägypter. Wir fühlen uns nicht mehr als Partei in diesem Kampf; er ist spannend erzählt oder ist es nicht, reizt uns dramatisch und intellektuell, oder eben nicht. Und etwa derart, als Abenteuerroman, ist Ein Kampf um Rom wohl von den meisten gelesen worden. Ungefähr in einer Linie mit Karl May; nicht ganz zufällig erinnert der späte Sandalenfilm, mit dem Dahns Roman nach bald einhundert Jahren auf die Leinwand übersetzt wurde, trotz aller Monumentalität stilistisch in manchem an die Karl-May-Verfilmungen jener Zeit. Witichis und Totila als edle Wilde wie der Häuptling Winnetou; Cethegus und Narses als Objekte der Zivilisationskritik wie gierige Siedler und korrupte Kavalleristen. Auch eine mögliche Deutung; mit dann ganz anderen Verwandtschaften und Traditionslinien.

Freilich ebenfalls ein wenig flach. Denn im Kern erzählt Dahn die historische Tragödie der guten Sache. Geschichte, wie Evolution, ist am Ende keine moralische Anstalt; nicht das Höhere, Bessere setzt sich durch, sondern was an die harte Umwelt sich am besten angepasst hat. Was das Gute einmal sein kann und einmal nicht. Zum Schluss bleibt die Sentenz, mit der Prokop zitiert wird, Chronist der Zeit und im Roman selbst Akteur. „In gerechter Sache, in heldenmütigster Anstregung, kann ein Mann, kann ein Volk doch erliegen, wenn übermächtige Gewalten entgegentreten, welche durchaus nicht immer das bessere Recht für sich haben.“ Dass es so ist und ein wenig auch warum – wenn nichts sonst, dies kann Felix Dahns Roman über das vergessene Jahrhundert bis heute lehren wie kaum ein zweiter.

 

Das Buch

Felix Dahn: Ein Kampf um Rom. Erstveröffentlichung 1876. Hier verwendeter Druck: Anaconda-Verlag, Köln, 2014

Felix Dahns Klassiker über die Tragödie der Ostgoten hat viel seiner alten Beliebtheit eingebüßt. Einst Jugendroman für ganze Generationen, geht er langsam in den Exotenstatus über. Die alte, treue Leserschaft mit ihrem festgefügten Urteil besteht nicht mehr. Chance für einen frischen Blick.


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