Vergib uns unsere Schuld

Wenn Personen des öffentlichen Lebens sich schuldig machen, endet das oft in medialer Hinrichtung und Vernichtung des persönlichen Rufs. Der Fall Hoeneß könnte anders verlaufen, denn im Gegensatz zu den Politikern, die taumelten und fielen, hat er nicht nur Parteifreunde und taktische Partner auf Zeit; er hat echte Freunde und Verehrer, die zu ihm stehen auch in der Not.


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201119-01__Tyrannei_der_WerteEs war eine der großen Szenen eines großen Abends: Nach dem Europapokalsieg kommen Trainer und Mannschaft von Bayern München auf die Ehrentribüne des Wembley-Stadions, um unter den Augen der Bundeskanzlerin ihre Medaillen und die Trophäe entgegenzunehmen. Nachdem sie kurz gejubelt und den Pokal untereinander herumgereicht haben, kommt man auf die Idee, ihn auch dem Präsidenten in die Hände zu drücken, der eine Reihe weiter oben steht. Hoeneß wehrt zunächst ab; ob er meint, dass der Sieg allein der Mannschaft gehört, oder ob er fürchtet, dass Triumphgesten ihm nun eher schaden, gleichviel. Man besteht darauf, und nach einem Moment des Zögerns reckt er die Trophäe dann doch in die Höhe. Jubel in der Kurve; das Stadion bebt, als wäre ein weiteres Tor gefallen. Hoeneß ist sichtlich bewegt, ehe er den Henkelpokal schnell weiterreicht an Karl-Heinz Rummenigge. Aber die Botschaft ist deutlich: Der Verein steht zu seinem Präsidenten, gleich, was kommen mag; und seine Anhänger mit ihm.

Was soll man nun halten von dem gar zu wohlwollenden Umgang der Bayern mit dem bekennenden Steuersünder Uli Hoeneß? Dazu, dass man ihn im Verein verteidigt, dass die Anhänger des Clubs ihm so schnell und offenherzig zu vergeben scheinen? Dass so viele in der Münchener Prominenz nicht von ihrem alten Weggefährten abrücken wollen? Dass die offizielle bayerische Politik um Ministerpräsident Seehofer sich zumindest eine höfliche Neutralität gestattet und vor Vorverurteilung und einem Prominentenmalus im laufenden Verfahren warnt?

Man kann es sich leicht machen und das den besonderen Soziotopen zuschreiben, in denen sich dieser Fall bewegt, der Sportwelt mit ihren halbseidenen Funktionären und Patronen alten Schlages, den speziellen Regeln in Bayern, wo einst Franz Josef Strauß nach seinen eigenen Gesetzen regierte und auch seine Erben nicht alles ganz so krumm nehmen wie anderswo. Aber man kann sich auch umgekehrt fragen, warum in der Politik nicht geht, was im Sport zu gehen scheint, warum in einer zunehmend entchristianisierten Gesellschaft die Fähigkeit zum Vergeben immer mehr abnimmt.

Es ist ein unschönes Spiel geworden, Prominente, die gefehlt haben, zu Aussätzigen zu machen und sie nachher mindestens so sehr zu hassen, wie sie zuvor angehimmelt wurden; gewiss verstärkt und beschleunigt durch die moderne Medienwelt. Christian Wulff hat dieses Schicksal erlitten, dessen Verfehlungen nach dem, was die Staatsanwaltschaft nach akribischer Suche zusammentragen konnte, auf ein nahezu lächerliches Maß zusammengeschrumpft sind. Man muss sich nur die Protestler in Erinnerung rufen, die beim Verabschiedungs-Zapfenstreich vor der Absperrung standen, in Vuvuzelas tröteten und in unsäglicher Geste ihre Schuhe in die Luft hielten wie die ägyptische Opposition nicht lange zuvor gegen den Gewaltherrscher Mubarak: Dann sieht man den ekelhaften Hass der Selbstgerechten, die einen Sünder an den öffentlichen Pranger stellen und menschlich vernichten wollen. Und ihn zum Ausgestoßenen machen wollen, auch nachdem er Amt und Würde verloren und auch sonst kräftig gebüßt hat. Den Freiherrn zu Guttenberg, der nach zwei Jahren selbst im amerikanischen Exil nicht sicher ist vor kindischen Protesten deutscher Professoren und dem Furor ihrer Studenten, hat es ähnlich schlimm getroffen. Während merkwürdigerweise ein bekennender Steinewerfer Bundesminister bleiben konnte und ein bekennender Pädophiler Abgeordneter, und man sich wohl fragen kann, was denn eigentlich schlimmer ist; aber die Frage, warum das eine für Journaille und Öffentlichkeit verzeihlich zu sein scheint und das andere nicht, wollen wir hier nicht aufwerfen.

In jedem Fall gilt: Sünder sind nicht Asoziale, auch Steuersünder nicht, wie der Herr Bundespräsident in einer überzogenen Formulierung sagte, die wohl böser klang, als sie gemeint war. Vor allem bleiben sie es nicht lebenslang, wenn sie einmal gesündigt haben. Zu den verschiedenen Zwecken, die eine Strafe im Rechtsstaat haben kann, gehört auch, dass sie ein Instrument der Versöhnung ist. Der Straftäter hat gebüßt, er weiß das für sich und kann sein belastetes Gewissen damit erleichtern; die Gemeinschaft weiß es und weiß, dass dem Recht genüge getan wurde.

Vergeben heißt deshalb nicht Verzicht auf Strafe. Uli Hoeneß hat zugegeben, das Gesetz gebrochen zu haben. Ob seine Selbstanzeige ihn vor dem Gefängnis schützt, muss die Justiz erst noch entscheiden. Wenn nicht, so wird er einrücken müssen, und kein Gnadenerlass Horst Seehofers wird ihn davor bewahren. Aber mit der Strafe ist die Straftat dann auch abgegolten, die Schuld gesühnt; und der Sünder kann wieder in Frieden aufgenommen werden in die Gemeinschaft. Es gäbe selbst im Fall einer Gefängnisstrafe keinen Grund dafür, dass Uli Hoeneß sein Präsidentenamt nicht nachher wieder antreten können sollte. Einen juristischen nicht und einen moralischen auch nicht.


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