Verraten und verkauft

Nun ist es also soweit, das Gezerre hat ein Ende. Erika Steinbach hat verzichtet. Sie erhält keinen Sitz im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. In aussichtsloser Lage hat sie aufgegeben. Einige Kompromisse, mehr Einfluss für ihren Verband, vielleicht auch mehr Gelder hat sie herausgeschlagen. Für die interne Gesichtswahrung war das nötig. Nach außen bleibt das Ergebnis dennoch, was es im Kern ist: eine Niederlage.


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Steinbach wurde aus dem Rat der Stiftung, die vor allem ein Zentrum gegen Vertreibungen initiieren soll, das auf ihre Initiative zurückgeht, mit Zwang herausgehalten. Von der deutschen Bundesregierung, in der Außenminister Westerwelle seine Position mit Veto-Drohung durchsetzte, auf tatsächlichen oder gefühlten Druck aus Polen und von Teilen der deutschen öffentlichen Meinung. Hätte Steinbach einen berechtigten Anspruch auf einen Sitz im Stiftungsrat gehabt? Ja, sie hätte. Gab es einen belastbaren Grund, ihr dieses Recht zu verwehren, außer dem Einknicken vor gefühltem diplomatischem Druck? Nein, den gab es nicht. Es ist nicht zu hart geurteilt, wenn man feststellt: Steinbach wurde von der deutschen Regierung im Stich gelassen, ja: verraten; und es macht es nicht besser, wenn sie es nun intern so darstellen muss, als habe sie ihr Recht für Einfluss verkauft.

Kritik an Polen ist das nicht. Nicht Polen hat diese Entscheidung getroffen, sondern Deutschland. Polen hat lediglich eine Forderung aufgestellt, die man aus polnischer Sicht – nur aus polnischer Sicht – bis zu einem gewissen Grade verstehen kann. Es ist ja richtig: Polen hatte eine schwere Geschichte. Dreimal geteilt, ein Jahrhundert lang staatlich nicht existent, im Zweiten Weltkrieg unterworfen, noch einmal geteilt, brutal geknechtet und vergewaltigt. Erst seit dem Ende des Kalten Krieges ist das Land wieder wirklich frei. Man muss die Ängste verstehen, die aus einer solchen Geschichte erwachsen, und man muss auch verstehen, dass die öffentliche Meinung in Polen in manchen Fragen darum zu Reaktionen neigt, die man ohne Kenntnis der Vorgeschichte schlicht als neurotisch einordnen würde.

Allein: Es zu verstehen, heißt nicht, jeder polnischen Neurose nachgeben zu müssen. Versöhnung ist keine Einbahnstraße, die allein bedeutet, dass von Deutschland permanent neue Reuegesten auszugehen haben. Versöhnung bedeutet gegenseitigen Respekt, Respekt vor den in der Geschichte erlittenen Wunden und den daraus resultierenden verschiedenen Sichtweisen auf diese Geschichte.

Wenn man in Polen dazu neigt, Flucht und Vertreibung allein als im Grunde gerechte geschichtliche Konsequenz aus den Naziverbrechen zu sehen und als Folge der von Stalin verordneten Westverschiebung Polens, unter der ja auch viele Polen zu leiden hatten, und die lange Vorgeschichte, die die ethnischen Konflikte in den ehemals deutschen Ostgebieten schon in den Jahrzehnten davor hatten, dabei aus dem Fokus zu nehmen, ist das eine polnische Angelegenheit, die uns nichts angeht. Präsident Kaczynski mag auch weiter von „Umsiedlungen“ sprechen; das ist seine Sicht, und er hat ein Recht darauf. Wir haben anderen Völkern nicht ihr Geschichtsbild vorzuschreiben.

Wir haben uns aber umgekehrt auch unser Geschichtsbild von niemandem vorschreiben und fremdbestimmen zu lassen, wen wir in unsere Stiftungsräte schicken und wen nicht. Im kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte haben wir keinen Nachholbedarf, die Aufarbeitung der Naziverbrechen sucht unter den großen Ländern der Erde, die ebenfalls Massenmorde auf ihr kollektives Gewissen geladen haben, ihresgleichen. Man braucht nur den russischen Umgang mit der Stalinära, den chinesischen mit der Maozeit, den japanischen mit den Chinafeldzügen ab 1937 als Vergleich heranzuziehen, um das mit Augen zu sehen. Wir brauchen uns nicht belehren zu lassen, von niemanden, schon gar nicht dazu, wie wir mit unseren eigenen Opfern umgehen.

Denn um Opfer geht es. Die Vertriebenen haben mehr als alle anderen den Preis bezahlt für Hitlers Krieg. Sie mussten Gebiete verlassen, die ihre Vorfahren seit sechs und mehr Jahrhunderten mit Recht ihre Heimat nannten. Sie verloren Land, Eigentum, oft Familienangehörige, und dass sie im Westen immer mit offenen Armen empfangen und mustergültig integriert worden wären, ist eine der großen Lebenslügen der jungen Bundesrepublik gewesen.

Jahrzehntelang waren die Vertriebenenverbände revisionistisch eingestellt. Auch das kann man angesichts der Geschichte verstehen. Auch das heißt nicht, dass Verständnis automatisch Nachgeben bedeutet. Aber gerade Erika Steinbach ist es gewesen, die den Bund der Vertriebenen aus der rechten, revisionistischen Ecke herausgeführt und sich um echte Versöhnung bemüht hat. Völlig unverdächtige Persönlichkeiten wie Ralph Giordano, der noch 1987 in seiner Streitschrift „Die zweite Schuld“ die Vertriebenenverbände als Hort des Revanchismus dargestellt hatte, haben das anerkannt und Steinbach in ihrem Bestreben unterstützt. „Die Humanitas ist unteilbar“, sagt Giordano immer; Opfer bleiben Opfer, ob sie nun dem richtigen Volk angehören oder dem falschen. Für die Vertriebenen hat das auch zu gelten. Aufrechnung von Leid gegen Leid, von Toten gegen Tote darf es nicht geben, nicht in die eine, nicht in die andere Richtung.

Steinbach ist in Polen unbeliebt, das ist eine Tatsache, aber für sich genommen ist es noch kein Grund. Dass sie einst gegen die Oder-Neiße-Grenze stimmte – übrigens mit der Protokollnotiz, dies getan zu haben, weil die Entschädigungsfrage im entsprechenden Gesetz nicht mitbehandelt wurde –, ist nun schon bald zwanzig Jahre her. Peter Ramsauer tat das auch, aber kein Proteststurm erhob sich, als er Verkehrsminister wurde. Verjährt, vergessen. Was ist bei Erika Steinbach anders?

Manche Dinge verjähren scheinbar schneller als andere. Nicht einmal zehn Jahre ist es her, dass Guido Westerwelle, besessen von der Jagd nach seinen 18 Prozent, die plakativen antizionistischen Wahlkampfparolen seines Adlatus Möllemann mittrug und mitverantwortete. Keinem Funktionär im Zentralrat der Juden, keinem israelischen Diplomaten ist darum eingefallen, Westerwelle als deutschen Außenminister ablehnen zu wollen. Wäre das passiert: wäre Westerwelle zurückgetreten? Kaum. Oder würde er zurücktreten, wenn ein erzkatholischer polnischer Präsident einen Homosexuellen als deutschen Außenminister nicht akzeptieren wollte? Der Versöhnung wegen?

Natürlich würde er das nicht, weil er die öffentliche Meinung auf seiner Seite hätte. Steinbach hat das nicht. Die Vertriebenenverbände sind in Deutschland nicht sehr beliebt. An ihrer in sich nicht unproblematischen Geschichte liegt das nur zum kleineren Teil. Die Vertriebenen als deutsche Opfer passen nicht ins simplizistische Geschichtsbild weiter Zeile der politischen Linken, womit viele Medien für sie bereits vermintes Terrain sind. Und für viele Leitartikler ist dieser kleine Sprung des Geistes, zu erkennen, dass Erinnern nicht Aufrechnen oder Zurückfordern heißt, dass sich als Schlesier oder Nachfahre von Schlesiern zu fühlen nicht bedeutet, Schlesien zurückhaben zu wollen, dass man „lieben kann, ohne zu besitzen“, schlicht einige Lichtjahre zu weit.

So konnte der Leichtmatrose und Dampfplauderer Westerwelle wie vor ihm der verstaubte Technokrat Steinmeier den Staatsmann mimen, von Versöhnung schwadronieren, einem Wort, das er in seiner tiefen Bedeutung nicht verstanden haben kann, ohne fürchten zu müssen, das, was er im Ausland durch billiges Nachgeben an Zustimmung erfuhr, mit der gerechten Kritik der Heimat bezahlen zu müssen.

Erika Steinbach hat die Lage immer schon realistisch eingeschätzt und ist bereits viele Kompromisse eingegangen. Das Zentrum wird, wie bereits ihre Ausstellung „Erzwungene Wege“, keine isolierte Darstellung des Schicksals der deutschen Vertriebenen; die spielen dort nur eine Rolle unter mehreren.

Das ist keine Selbstverständlichkeit, das ist ein massives Zugeständnis. Auch hier kann man fragen: Warum eigentlich? Keiner anderen Volksgruppe in Europa wird es verwehrt, ihrer Geschichte und der Leiden in dieser Geschichte für sich zu gedenken. Mit den Vertriebenen steht es anders, weil sie ja zum deutschen Tätervolk gezählt werden, weil sie pauschal unter Revanchismusverdacht stehen. Das Schicksal der Vertriebenen darf nicht dargestellt werden ohne die Vorgeschichte – die natürlich erst 1939 einsetzt –, ohne die Leiden auch der anderen darzustellen. Nun schön. Steinbach sah das ein. Sie sah auch ein, dass das Projekt keinesfalls als reines BdV-Projekt dastehen durfte, weshalb ihr Verband sich mit drei von dreizehn Sitzen im Stiftungsrat zufrieden zu geben hatte. Aber auch das reichte nicht, Steinbach selbst wurde zum Ziel, sie selbst war das Feindbild, die blonde Bestie, die SS-Domina auf dem Titelbild einer polnischen Boulevardzeitung, das Objekt von Verachtung und Hass, bei dem sogar Sippenhaft wieder legitim zu sein schien und darum die Familiengeschichte, die Steinbach als Kleinkind als Tochter eines Wehrmachtsangehörigen nach Polen führte, plötzlich zu einem ernsthaften Argument wurde. Hetzkampagne ist ein deutlich zu freundliches Wort für diesen Vorgang. Sie kämpfte dagegen und verlor. Der deutsche Außenminister, bar jeder Solidarität, bar jedes Patriotismus und bar jedes Anstandes, dafür voller Profilierungssucht, gab der Kampagne eilfertig nach, und der Rest der deutschen Regierung fiel um und ließ Steinbach im Stich.

So lautet das Ende einer traurigen Geschichte. Es ist eine Schande.


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