Wege des Ruhms

Mit Napoleons Fahrt in sein zweites Exil endet die Abenteuergeschichte der hundert Tage. Aus der weiten historischen Perspektive eine kurze Episode, die wenig folgenreich blieb. Zugleich aber ein großes Schauspiel, das Bonapartes Lebensdrama auf die Spitze trieb und in der Niederlage seiner Legende neuen Glanz verlieh.


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Laffrey

Die Szene von Laffrey hat sich eingebrannt in das historische Gedächtnis. Anfang März 1815. Von Süden her zieht der entthronte Kaiser Napoleon mit seiner kleinen Streitmacht auf das französische Kernland zu. Zehn Tage vorher hat er die Insel Elba verlassen, die ihm von den Siegermächten großzügig als Miniaturfürstentum und Ruhesitz vorgesehen war. Mit der kleinen Flottille und der Leibgarde von elfhundert Mann, die ihm, der einst über die Grande Armée gebot, noch zur Verfügung stehen: um mit diesem kleinen Haufen Frankreich zurückzuerobern. Nach der Landung geht es nach Norden, nicht durch das königstreue Rhône-Tal, sondern durch das Alpenvorland, wo die Bevölkerung Napoleon gewogener ist. Früher oder später aber muss die verzweifelte Fahrt der elfhundert zum Zusammenstoß mit den Truppen des Königs führen. Die Generale Ludwigs XVIII., seinerseits im letzten Jahr aus dem Exil heimgekehrt und von den Alliierten wieder auf den Thron gesetzt, kommandieren zweihunderttausend Mann. Napoleon kann sie nicht mit Waffenstärke besiegen. Er muss die Armee gewinnen, ohne einen Schuss abzufeuern.

Bei Laffrey, südlich von Grenoble, kommt es zur Begegnung mit einem königlichen Vorauskommando, dem 5. Linienregiment. Die erste Probe und die wichtigste. Sie wird entscheiden, ob der verzweifelte Plan gelingen kann. Napoleon schickt einen Boten zum Kommandeur. Der reagiert kühl; er hat klare Befehle: die kleine Invasionsstreitmacht aufzuhalten. Also wendet sich der Bote an die Soldaten: gleich werden sie den Kaiser in Person zu sehen bekommen. Der marschiert seiner Truppe voraus. Als man sich in Schussweite gegenübersteht, befiehlt er seinen Gardisten, die Gewehre zu senken. Stellt sich vor die Front und spricht. „Soldaten des Fünften. Erkennt mich. Wenn einer unter Euch ist, der seinen Kaiser töten möchte, hier stehe ich.“ Öffnet dazu in dramatischer Geste seinen berühmten grauen Feldmantel. Dann allgemeines Zögern. Ein Moment der Stille. Feuerbefehl? Werden die Soldaten folgen? – Ein Ruf bricht den Bann. „Vive l’Empereur.“ Danach ist kein Halten. Des Königs Soldaten stürmen jubelnd auf den Kaiser zu und lassen ihn hochleben. Diese Schlacht hat er gewonnen. Die Schar seiner Anhänger wächst.

So wird es weitergehen. Bis Paris wird kein Schuss fallen. Napoleon erobert das Land zurück, indem er seinen Hut zeigt. Bataillon für Bataillon, Regiment für Regiment, Dorf für Dorf, Stadt für Stadt geht zu ihm über. Mit Begeisterung das Volk: die einfachen Soldaten, die Bauern, die Handwerker, die einfachen Leute der Stadt. Eher zögernd und gezwungen die Oberen, des Königs Präfekten und Generale, denen ihre Untergebenen den Gehorsam verweigern. Auch sie wechseln schließlich die Seite, aber nicht aus Überzeugung, sondern weil das Schicksal, weil das Phänomen Bonaparte stärker ist als sie.

Historisches Theater

Golo Mann hat einmal, in einem feinen Aufsatz über Napoleon und die Deutschen, die Frage gestellt, warum das Theater bislang kein Napoleon-Drama von Weltrang hervorgebracht hat, so wie es Shakespeares Königsdramen gibt oder Schillers Wallenstein. Und vermutet, es liege daran, dass Napoleons Leben schon nach den historischen Fakten so viel Drama in sich berge und vom Spieler selbst schon so gekonnt inszeniert worden sei, dass künstlerische Bearbeitung nichts mehr steigern, nichts mehr verschönern, nur noch verderben könne. Daran ist einiges, zumal in diesem merkwürdigen Epilog der hundert Tage, nachdem das große Drama von Aufstieg und Fall des Bonaparte mit dem Sturz des Kaisers im Vorjahr als fünftem Akt eigentlich schon sein Ende gefunden zu haben schien. Hier vermischt sich politisches Wirken mit historischem Theater. In Sergei Bondartschuks Waterloo-Verfilmung von 1970 fragt ein melancholischer Napoleon seinen Adjutanten La Bedoyère in einer Schlachtpause, was man wohl nach seinem Tod von ihm sagen werde. Der antwortet bezeichnend: „That you extended the limits of glory.“

Napoleon wirtschaftet in den hundert Tagen sehr stark mit seinem Ruhm, dem Ruf, den er sich in zwanzig Jahren erworben hat, den Symbolen, Mantel, Zweispitz, Trikolore. Anfangs beflügelt ihn dieser Ruhm, trägt ihn auf mächtigen Schwingen von Kirchturm zu Kirchturm bis hin zu Notre Dame. Am Ende freilich hängt er ihm eher wie ein Mühlstein um den Hals, zieht mehr Feinde an als Verbündete und hemmt ihn auch in seinem eigenen Handeln.

Wieder zur Herrschaft gelangt, muss er sich mit den europäischen Mächten arrangieren, mit denen er so lange im Kriege lag. Er ist dazu bereit, und wohl ehrlich bereit. Napoleon ist älter geworden, zählt nun fünfundvierzig Jahre, ist müde von seinen vielen Feldzügen und nicht mehr bei bester Gesundheit. Der Adlerflug von Elba nach Paris soll sein letztes Abenteuer gewesen sein und hat ihn ausgelaugt. Studiert man sein Handeln in den hundert Tagen und vergleicht es mit der Dynamik des jungen General Bonaparte, wird man ihm glauben, dass er nun vollauf damit zufrieden wäre, sein Frankreich tüchtig zu verwalten und den Rest der Welt in Frieden zu lassen. Aber der Rest der Welt, oder jener Teil davon, der zur selben Zeit beim Wiener Kongress versammelt ist, kann Napoleon nicht glauben. Man fürchtet ihn zu sehr. Nicht den Mann, der in Paris sitzt; den kennt man nicht mehr. Aber die historische Sagengestalt, den militärischen Genius, dem man so lange unterlegen war und den nur eine große Koalition der Mächte mit höchster Anstrengung hatte besiegen können. Er darf nicht regieren, darf nicht wieder zu Kraft kommen. Das wirkt stärker als die Streitereien in der Koalition, um Polen, um Sachsen, die vergiftete Stimmung auf dem Kongress, die persönlichen Animositäten unter den Verhandlern. Die gaben Napoleon Hoffnung, dass man sich eher mit ihm vertragen werde, als eine neue Kriegskoalition zu bilden. Aber die Hoffnung trog. Die Mächte erklären Bonaparte zum Störer der sozialen Ordnung und zum Feind des Weltfriedens. Sie vereinbaren, ihn mit Krieg zu überziehen. Rund achthunderttausend Mann sollen gegen Frankreich marschieren. Unmöglich zu besiegen, selbst für Napoleon.

Auch im eigenen Land trägt ihm die Erinnerung vergangener Taten nicht nur Freunde ein. Wohl gibt es Unzufriedenheit mit der Bourbonenherrschaft, bei Napoleons alten Soldaten, die der König aus Haushaltszwängen entlassen oder auf Halbsold setzen mussten. Beim Landvolk, das die Rückkehr der Adels- und Priesterherrschaft aus der Vorrevolutionszeit fürchtet. Aber die städtischen Eliten haben sich mit der Königsherrschaft durchaus arrangiert; die liberale Verfassung, die wesentliche Errungenschaften der Revolution erhalten hat, wirkt auf sie deutlich attraktiver als Napoleons Militär- und Polizeistaat, und dass der alte, gichtkranke Ludwig XVIII. wenig Neigung zum persönlichen Regiment zeigt, wirkt auf sie beruhigend. Und alle wünschen sich Frieden nach so langer Kampfzeit, den Napoleon, der Störenfried, nun wieder zunichtezumachen droht. Der Kaiser sucht die Bedenken zu zerstreuen. Er will sich nicht erneut zum Diktator machen, auch nicht unter Berufung auf den Notstand des drohenden Krieges. Er lässt eine eigene Verfassung ausarbeiten, die an Liberalität die Charte des Königs noch übertreffen soll. Will konstitutionell regieren, Rücksicht auf die Kammern nehmen, die freie Presse, die unabhängige Justiz. Aber nicht jeder kauft ihm den Wandel ab, jedenfalls nicht in der kurzen Zeitspanne, die bleibt. Und da man angesichts der erneut sich formierenden Feindkoalition ohnehin darauf rechnen darf, dass der Spuk bald wieder vorüber sein wird, treten große Teile der liberalen Bürgerlichen in eine Art Bummelstreik – unter ihnen auch viele Beamte in wichtiger Stellung.

In der Offensive

So konvergieren also die außenpolitische und die innenpolitische Tendenz. Gegen die Feindkoalition kann Napoleon nur bestehen, indem er ihrem Angriff zuvorkommt, die feindlichen Armeen, der Briten, Preußen, Österreicher, Russen und was sonst kommen mag, voneinander trennt, einzeln besiegt und hofft, dass eine Kette von Niederlagen die Feinde friedensbereit machen wird. Aber auch innenpolitisch wird er sich auf Dauer nur durchsetzen können, wenn er militärische Erfolge erringt und auch die, die ihm feindselig oder neutral gegenüberstehen, davon ausgehen müssen, dass seine zweite Herrschaft von Dauer sein wird, so dass sie sich notgedrungen mit ihm arrangieren. So muss er wiederum alles auf eine Karte setzen und verzweifelten Mut beweisen. Wie bei Laffrey.

Aber die gleiche Karte sticht selten zweimal. Zwar scheint ihm das Schicksal erneut eine Chance zu bieten. In den Niederlanden stehen die beiden nächstgelegenen feindlichen Armeen, die britische unter Wellington und die preußische unter Blücher. Die eine mit Schwerpunkt bei Brüssel, die andere bei Namur – genug Raum, um zwischen sie zu stoßen und sie nacheinander einzeln anzugreifen. Aber Napoleon ist mehrfach im Nachteil. Die beiden Armeen zusammengenommen sind seiner an Zahl klar überlegen. Nur 124.000 Mann kann er ins Feld führen, da er große Kontingente zur Grenzsicherung und zur Beruhigung unzufriedener Provinzen abstellen muss. Wellington und Blücher zusammen über 200.000 Mann. Der französischen Armee fehlt es an Ausstattung, Stiefeln, Uniformen, Gewehren. Und es fehlt an guter Führung. Viele Generale, die dem König einen Eid geschworen haben, weigern sich, nun wieder Napoleon zu dienen. Ein anderer, Bourmont, geht gleich am ersten Tag des Feldzugs zum Feind über. Der Spalt zwischen Offizieren und Soldaten, der sich bei Laffrey schon andeutete, sät Misstrauen in der Armee. Von seinen bewährten Marschällen sind Napoleon nur wenige geblieben. Der Kaiser muss die Aufgaben umverteilen und beweist dabei keine glückliche Hand. Soult als Stabschef, Ney als Befehlshaber des linken Flügels, Grouchy mit dreißigtausend Mann auf sich gestellt bei der Verfolgung der Preußen: alle drei zeigen sich in dem kurzen Feldzug ihrer Aufgabe nicht gewachsen.

Immerhin: Die Armee ist motiviert, die Soldaten sind kaisertreu bis ins Mark und kampferfahren. Anders als in den bunt zusammengewürfelten Verbänden Wellingtons und Blüchers. Das ermöglicht Erfolge in den ersten Tagen. In Unterzahl besiegt Napoleon die preußische Armee bei Ligny. Blücher, bei einem Kavallerieangriff verwundet, verbringt die Nacht im Lazarett. Sein Stabschef Gneisenau bestimmt derweil die Richtung des Rückzugs. Er befiehlt die Armee nach Norden, nach Wavre, in paralleler Marschrichtung zu den Briten. Für die kommenden Tage ein sehr entscheidender Punkt.

Während Napoleon die Preußen schlägt, aber nicht vernichtet, ist Marschall Ney gegen Briten und Niederländer weiter westlich beim Straßenkreuz Quatre-Bras weniger erfolgreich. Auch weil Napoleon mitten im Gefecht ein Armeekorps zu seinem eigenen Schlachtfeld nach Ligny wegbefiehlt. Ney, erst spät zur Armee gerufen, unzureichend informiert und nicht mit klaren Befehlen ausgestattet, sondiert die Lage sehr lange, ehe er angreift; währenddessen haben die Briten ihre Stellungen verstärkt. Die Schlacht endet unentschieden. Die Briten ziehen sich zwar nach Norden zurück, da nun Napoleons Hauptmacht naht. Aber sie haben genügend Gelegenheit, ihre Verteidigungsstellung am Mont St. Jean, südlich des Örtchens Waterloo, zu befestigen, ehe sie sich dort dem Kaiser entgegenstellen.

Bei Waterloo

Überhaupt legt auch Napoleon eine ungewohnte Zögerlichkeit an den Tag. Ob aus Unsicherheit oder im Gegenteil aus überstarkem Selbstbewusstsein und Geringschätzung der Gegner, was er beides mehrfach kundtut, wird sich kaum mehr klären lassen. Jedenfalls beginnt er, seine eigenen Erfolgsregeln zu ignorieren. Die geschlagenen Preußen lässt er nicht umgehend durch eine starke Kavallerieeinheit verfolgen, sondern durch zwei voll ausgestattete Korps unter Marschall Grouchy mit 100 Kanonen. Und das erst am Mittag des folgenden Tages, nachdem man zunächst das Schlachtfeld gemeinsam besichtigt hat. Grouchy wird die Preußen nicht einholen können; er ist zu spät losmarschiert und kommt mit seinem Tross nicht schnell genug voran. Seine Truppen aber werden Napoleon im Endkampf fehlen.

Auch der beginnt am 18. Juni verzögert. Allerdings wetterbedingt. Am Vortag hat es in Strömen geregnet, der Boden ist verschlammt. Die Artillerie, Napoleons großer Trumpf, ist dadurch mattgesetzt. Die Kanonen lassen sich kaum bewegen, und die Eisenkugeln, mit denen sie feuern, verlieren einen Großteil ihrer Wirkung, wenn sie im Matsch einschlagen. Stunden vergehen, während die Erde langsam trocknet. Erst am späten Vormittag, gegen halb zwölf, beginnt der Angriff auf den britischen rechten Flügel, auf die vorgeschobene Stellung des Gehöfts Hougomont. Napoleons Hoffnung: Wellington wird diesen Flügel, der in Richtung seiner Rückzugslinie zu den Kanalhäfen liegt, verstärken, sein Zentrum schwächen und so den Franzosen den Durchbruch ermöglichen. Aber Wellington schluckt den Köder nicht. Während im Kampf um Hougomont immer mehr von Napoleons Soldaten verbluten.

Dennoch beginnt nun der Hauptangriff im Zentrum. Napoleon ist in Eile. In der Ferne wurden preußische Vorausabteilungen gesichtet. Naht die Hauptmacht der Preußen? Wo ist Grouchy? Der hört den Kanonendonner vom Schlachtfeld her, folgt aber stur dem Befehl vom Vortag und marschiert weiter auf Wavre zu. Auf Napoleons Hilferufe kann er nicht mehr reagieren.

Die ersten Infanterieangriffe auf das britische Zentrum scheitern blutig. Die britischen Kavalleriegegenangriffe ebenso. Aber da die Briten immer stärker vom französischen Artilleriefeuer dezimiert werden, ordnet Wellington einen Rückzug hinter die Anhöhe am Mont St. Jean an und gruppiert seine Truppen neu. Marschall Ney, auf der anderen Seite, interpretiert das als britischen Generalrückzug und will die feindliche Infanterie mit fünftausend Reitern überrollen. Um dann festzustellen, dass die nicht auf der Flucht, sondern durchaus noch wehrhaft ist und sich zu stabilen Karrees formiert hat. Seine Kürassiere, Dragoner, Husaren erzielen mit ihren Säbeln gegen den Wall von Bajonetten kaum eine Wirkung.

Gegen alle Regeln der Kriegskunst führt Ney noch eine zweite Angriffswelle der Kavallerie an. Und eine dritte. Und eine vierte. Napoleon gebietet ihm nicht Einhalt, sendet ihm im Gegenteil weitere Reitereinheiten zur Verstärkung. Am Ende gibt es kaum mehr eine französische Kavallerie, die man einsetzen könnte. Beim letzten Sturm wird man sie bitter vermissen.

Das Ende

Es ist nun später Nachmittag. Ein erstes preußisches Korps hat Napoleons rechten Flügel erreicht und steht in Kämpfen um das Dorf Planceoit. Sie binden bereits einen Teil der französischen Reserven. Die Zeit läuft davon. Nun besinnen sich die Franzosen wieder auf ihr Kriegshandwerk und das Gefecht der verbundenen Waffen. Infanterie, Artillerie und was von der Kavallerie noch übrig ist, gehen koordiniert vor. Das Gehöft La Haye Sainte vor dem Zentrum der Briten, lange umkämpft, wird erobert. Die französische Artillerie rückt vor und Wellingtons Truppen damit wieder in Reichweite. Geschoss auf Geschoss schlägt in den britischen Linien ein. Ihre Verteidigung wankt. Ein kräftiger Stoß sollte ihr den Rest geben.

Napoleon setzt nun die letzte Reserve ein: die alte Garde. Sie marschiert auf das britische Zentrum zu, leicht nach links gewendet. Aber die Briten sind vorbereitet und stehen in Schützenlinie – nicht mehr bedroht von der kaum noch existenten französischen Kavallerie. Der erste Angriff der Garde wird abgewiesen. Geordneter Rückzug. Eigentlich noch keine Katastrophe.

Aber nun beginnt der Zusammenbruch. Teile der Armee, zermürbt vom langen Kampf, verlieren angesichts des Rückzugs der Garde den Mut. Erste Auflösungserscheinungen. Bei Planceoit schaffen die Preußen den Durchbruch. Und weiter nördlich, am britischen linken Flügel, greift das nächste preußische Korps an und überrennt die dort stehenden französischen Einheiten. Unter den Soldaten, denen Napoleon hat sagen lassen, Grouchy nähere sich aus dieser Richtung, bricht Panik aus. Das ist das Ende. Die französischen Truppen fluten in wilder Flucht zurück. Ihre Offiziere können sie nicht aufhalten. Die Garde deckt den Rückzug, solange sie kann. Aber am Ende hat Napoleons Nordarmee als kampffähige Einheit zu existieren aufgehört.

Der Kaiser entgeht den preußischen Verfolgern mit knapper Not und trifft drei Tage später in Paris ein. Noch hofft er, das Schicksal wenden zu können. Aber die innenpolitische Unterstützung, unsicher schon vor der Niederlage, bröckelt nun mit jeder Stunde. Das Parlament fordert ihn zur Abdankung auf. Was kann er tun? Das einfache Volk, auch die meisten Soldaten stehen immer noch auf seiner Seite. Soll er die Gegner verhaften lassen? Nun doch Belagerungszustand, Militärdiktatur, da die Feinde auf Paris zumarschieren?

Dazu fehlt Napoleon am Ende des Dramas der Wille. Er fügt sich, verlässt die Hauptstadt und ergibt sich am Ende der britischen Flotte. Die bringt ihn zu seiner neuen Heimstatt, der Insel St. Helena im Südatlantik, fast 2.000 Kilometer von der nächsten Küste entfernt. Dort kann er keinen Schaden mehr anrichten, nur noch lesen, ausreiten, Gespräche führen. Und an seiner Legende stricken, mit seinen letzten Getreuen, den „vier Evangelisten“, die seine Deutung der Geschichte niederschreiben. Nachdem der letzte Kampf gekämpft ist, wird er nun selber zum Dichter seines Lebens. Wie sein Nachruhm zeigt, am Ende weit erfolgreicher, als er als Herrscher und Feldherr auf Dauer bleiben konnte.

 

Zum Weiterlesen

Günther Müchler. Napoleons hundert Tage. Theiss-Verlag, 2014.

Johannes Willms. Waterloo. Napoleons letzte Schlacht. Verlag C. H. Beck, 2015

Klaus-Jürgen Bremm. Die Schlacht. Waterloo 1815. Theiss-Verlag, 2015.


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