Zeitgeist ist veränderbar

Wer mit seiner Zeit nicht im Reinen ist, schließt sich gerne im Keller ein und zerfließt in Selbstmitleid. Der Kulturphilosoph Werner Kunze (AH VDSt München) zeigt, wie es auch anders geht.


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Philosophen gab es früher viele. Ehe die Fachbereiche sich ausdifferenzierten, als die Universitäten nur aus wenigen Fakultäten bestanden, war der Titel recht gebräuchlich. Männer wie Hobbes, Locke, Montesquieu betrieben Staatsphilosophie, was man heute dem Fachbereich der Politikwissenschaft zuordnen würde. Naturforscher hießen Naturphilosophen, Kulturwissenschaftler Kunstphilosophen. Wie es meistens so geht, verschwinden die Begriffe nicht, wenn die Zeiten sich ändern, sie bedeuten nur etwas anderes. Kulturphilosophie ist lange schon keine akademische Disziplin mehr, auch keine Mischung akademischer Disziplinen, etwa Soziologie, Historie, Literaturwissenschaft. Ein Kulturphilosoph wagt den Versuch, die Kultur, den Geist, die Seele einer Zeit zu erfassen, zu erfühlen, zu verstehen und eine Haltung dazu zu finden; meist eine kritische, wodurch er geistig rasch vereinsamen kann. Friedrich Nietzsche war ein solcher Kulturphilosoph, vielleicht der kritischste, gewiss der einsamste, den eine Zeit je gesehen.

Unser Bundesbruder Werner Kunze ist auch ein solcher Kulturphilosoph. Sein Gegenstand ist die Moderne, was sehr weit gefasst ungefähr die Zeit von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis heute umfasst. Dies mit Schwerpunkt auf der deutschen Geistesgeschichte seit 1945. Kunze ist alt genug, sie selbst komplett erlebt zu haben; auch die zwölf Jahre davor, an deren Ende er als junger Mann noch Dienst als Flakhelfer und Soldat leisten musste und die Kriegsgefangenschaft durchlebte. Mittlerweile zählt er siebenundachtzig Jahre; schreibt aber immer noch fleißig Bücher wie eh und je. Drei sind zuletzt neu erschienen.

Sie kreisen trotz unterschiedlicher Schwerpunkte alle um den Geist der Zeit, der heute in Deutschland herrscht und in Europa und in dem, was man so westliche Welt nennt. Kunze, durch seine Lebenserfahrung „propagandaallergisch“ und ideologieavers geworden, sieht diesen Zeitgeist und jene, die ihn propagandistisch begleiten, sehr kritisch, ideologisch geprägt durch Materialismus, Egalitarismus und Individualismus und vor allem sehr viel Oberflächlichkeit. „Die heutige Zeitmixtur besteht überwiegend aus hektischem Aktivismus, vorlauten Belanglosigkeiten, konformistischer Trägheit und geistigem Stillstand.“ Hinzu komme ein schablonenhaftes Geschichtsbild, Schwarzmalen des Vergangenen, Rosamalen der Gegenwart, was die „progressive Übermacht“ durch „mythisch besessene, aufklärerische Eiferer“ bedinge bis hin zur bereitwilligen Selbstaufgabe der deutschen Kultur und der Übernahme angelsächsischen Denkens und Lebenstils.

Zu dieser deutschen Kultur will Kunze zurück: zu Kant und Goethe und einigen Denkern der Romantik; hin zu einer ganzheitlichen Sicht des Menschen über den Verstand hinaus, zu Seele, Gemüt, Behaglichkeit. Natürlich nicht im Sinne einer Revolution rückwärts, die das neunzehnte Jahrhundert zurückbringen soll. „Ziel ist gewiß keine Revolution, sondern eine evolutionäre Korrektur.“

Dass er an diese evolutionäre Korrektur glaubt, dass er nicht in Jammerton und Weltschmerz verharrt, gehört zu Kunzes größten Stärken. „Der Geist unserer Zeit ist nicht Ergebnis unumstößlicher Gesetzmäßigkeiten, sondern Menschenwerk. Und daher veränderbar.“ Er glaubt an die deutsche Jugend, traut ihr zu, zu lernen, nicht nur aus den Fehlern der Vergangenheit, sondern auch aus denen der Gegenwart. Und er traut ihr zu, nach ein wenig Starthilfe selber zu lernen. „Wer einmal gelernt hat, Wissen zu erwerben, ist auch in der Lage, sich neues Wissen autodidaktisch zu erarbeiten“, so wie man nach der ersten die zweite und die dritte Fremdsprache eigenständig sich anzueignen vermag. Wer von Kunze gelernt hat, der mag daher weitermachen mit den vielen Autoren, die er ausgiebig und zustimmend zitiert, den Gadamer und Gehlen und Keyserling, den Di Fabio und Spaemann und Sloterdijk. Zeitkritisch so wie Nietzsche mag er wohl sein, unser Bundesbruder Kunze; intellektuell vereinsamt wie jener ist er nicht.

 

Es folgen die bibliographischen Daten.

S165_Zeitgeist_1

Deutschland vor der Zeitenwende. Die Welt im Umbruch. Verlag Siegfried Bublies, Schnellbach, 2013. 298 Seiten, ISBN 978-3-926584-99-1

 

S165_Zeitgeist_2

Ein Deutscher Frühling. Plädoyer für die kulturelle Wiedererweckung unserer Nation. Lindenbaum Verlag, Schnellbach, 2014. 272 Seiten, ISBN 978-3-938176-42-9

 

S165_Zeitgeist_3

Unser letzter Ausweg! Gegen die Entfremdung – Rückbesinnung auf deutsche Kultur. Hohenrain-Verlag, Tübingen, 2014. 271 Seiten, ISBN 978-3-89180-139-0

 


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