Zahlen, Daten, Fakten

Statistik gehört nicht zu den beliebtesten Fächern an den Hochschulen. Aber man braucht sie häufiger, als man denkt; komplex und vernetzt, wie unsere Welt heute ist, lässt sie sich nur mit einer soliden Datenbasis steuern. Jacek Walsdorfer erzählt uns aus seiner Arbeit als amtlicher Statistiker.


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Aka-Blätter: Du arbeitest als Referatsleiter im Bereich Energie und Umwelt des hessischen statistischen Landesamtes. Welches Aufgabengebiet hat man sich darunter vorzustellen?

Walsdorfer: Zum einen habe ich Führungsaufgaben: Prozesse steuern und koordinieren, Mitarbeiter führen. Zum anderen nehme ich fachliche Aufgaben wahr: Erfüllung des gesetzlichen Auftrags zur Datenerhebung und -verarbeitung unter sich ändernden Rahmenbedingungen, Bearbeitung komplexer Anfragen, Abstimmung mit den anderen statistischen Ämtern, Verfassen von Pressemeldungen und Aufsätzen usw.

Im Energiebereich zeichnen wir möglichst umfassend auf, in welchem Umfang die verschiedenen Energieträger zur Verfügung stehen und in den Erzeugungs-, Umwandlungs- und Verbrauchssektoren eingesetzt werden. Diese Statistiken benötigen die Entscheidungsträger auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene für die Energie- und Klimapolitik, und sie sind Berechnungsgrundlage für die Energiebilanz und die Treibhausgasbilanz des Landes. Außerdem erheben wir wirtschaftliche Strukturdaten für den Wirtschaftsbereich „Energie- und Wasserversorgung“. Im Umweltbereich dokumentieren Statistiken zur Entstehung und Beseitigung von Abfällen, zum Aufkommen und der Verteilung von (Trink-) Wasser, zur Sammlung und Beseitigung von Abwasser sowie zur Verwendung klimawirksamer (ozonschädigender) Gase den Eingriff des Menschen in die Natur. Hinzu kommen die Statistik über Wasserentgelte sowie über Unternehmensinvestitionen in den Umweltschutz und das gewerbliche Bereitstellen von Umweltschutzgütern. Darüber hinaus umfasst mein Referat die Bautätigkeitsstatistiken: Wir erfassen die Baugenehmigungen, Baufertigstellungen und Abrisse und schreiben den Bestand an Wohngebäuden und Wohnungen fort.

Auf welche Aufgaben verwendest Du die meiste Zeit, wie sieht für Dich ein typischer Arbeitstag aus?

Während eines guten Teils meiner Arbeitszeit informiere ich mich aus diversen Protokollen und Berichten, um fachlich und organisatorisch auf dem Laufenden zu bleiben. Ungefähr gleich viel verwende ich für Auswertungen und die Formulierung von Pressemeldungen, Berichten und Begleittexten. Sehr wichtig sind auch die Gespräche mit meinen Mitarbeitern. Dieser Austausch dient einerseits der Prozesssteuerung und Mitarbeiterführung sowie andererseits der Vor- und Nachbereitung von Abstimmungsprozessen mit den anderen statistischen Ämtern. Im Verlauf eines typischen Arbeitstages spreche ich auch mindestens eine halbe Stunde mit meiner Vorgesetzten, in erster Linie betreffend die Personalverantwortung und abteilungsübergreifende Angelegenheiten.

Viele Unternehmen beklagen den Aufwand, der mit der Erhebung statistischer Daten verbunden ist. Worin liegt der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Datenerfassung?

Unsere Gesellschaft ist – heute mehr denn je – auf zuverlässig, objektiv und neutral erhobene Daten zu den unterschiedlichsten Sachverhalten angewiesen. Zunehmend verwendet die Politik statistische Daten nicht nur als Entscheidungsgrundlage, sondern auch als Messlatte für ihre Programme und Maßnahmen. Die statistischen Ämter sind nur einige von vielen Behörden, die Daten erfassen. Jedoch ist ihre Unabhängigkeit von parteipolitischen und anderen partikularen Interessen im Bundesstatistikgesetz festgelegt. Die in den jeweiligen fachstatistischen Gesetzen definierten Auskunftspflichten dienen dem Zweck, die Aussagekraft der erhobenen Merkmale durch hinreichende Tatbestandsabdeckung (z. B. Stromabgabe an Netzbetreiber und Endverbraucher) bzw. Repräsentativität (z. B. Haushaltseinkommen) sicherzustellen.

Das DIW errechnete, dass 2007 84,7 % der deutschen Unternehmen zu überhaupt keiner amtlichen Statistik herangezogen wurden. Unter der Maßgabe, die aus den unterschiedlichsten Pflichten resultierenden Bürokratiekosten zu messen, ermittelt das Statistische Bundesamt seit mehreren Jahren die Belastung der Wirtschaft. Mehrere Programme zur Reduzierung statistischer Berichtspflichten führten in der Folge zu einer deutlichen Entlastung – insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmen –, wie auch das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Monatsbericht vom Oktober 2013 darstellt. An den gesamten bürokratischen Lasten hat die amtliche Statistik nach der Untersuchung des DIW lediglich einen Anteil von 8,6 %.

Worin unterscheiden sich Statistikämter auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene?

Der föderale Aufbau der Bundesrepublik Deutschland findet sich auch in der amtlichen Statistik wieder. So erheben die Landesämter Daten und verarbeiten sie zu Auswertungen für ihr jeweiliges Bundesland.

Nur in vergleichsweise wenigen, gesetzlich genau definierten Fällen erhebt das Statistische Bundesamt selbst Daten, z. B. zum Außenhandel. Seine Hauptaufgaben bestehen darin, die Länderdaten zu Bundesstatistiken zusammenzuführen, die anzuwendenden Methoden bei der Datenerhebung mit den Landesämtern abzustimmen und Statistiken für andere Staaten, die Europäische Union und internationale Organisationen (vor allem Vereinte Nationen, OECD, IWF) zusammenzustellen (vgl. § 3 BStatG).

Ähnliches gilt auch für Eurostat auf der europäischen Ebene.

Der gemeine Wirtschaftsstudent versteht unter Statistik vorwiegend Mathematik: Wahrscheinlichkeitsverteilungen, Signifikanztests, Analyseverfahren. Wie komplex sind die angewendeten Methoden in der Praxis?

Nach meiner Erfahrung spiegelt der überwiegende Teil der in der Lehre vermittelten Methoden die Erfordernisse von Stichprobenerhebungen wider. Die vermittelten Kenntnisse stehen in engerem Zusammenhang mit Ad-hoc-Untersuchungen, Marktforschung oder auch Qualitätsprüfung in der Produktion mittels Stichprobe. Hingegen befasse ich mich mit der massenweisen Datenerfassung, die möglichst auch – über die Zeit vergleichbare – Aussagen für alle Kommunen zulassen soll. In meinem Arbeitsgebiet steht die vollzählige Erfassung im Vordergrund (z. B. erteilte Baugenehmigungen). Mit Verfahren der Zufallsauswahl und Hochrechnung habe ich dementsprechend wenige Berührungspunkte. Es gibt aber genügend Statistiken, bei denen diese Verfahren eine wichtige Rolle spielen: die Strukturerhebungen im Dienstleistungssektor und der Mikrozensus seien stellvertretend genannt. Die Stichprobenauswahl folgt dort in der Regel multivariaten Schichtmodellen mit Rotation der Teilnehmer.

Die größte Rolle unter den statistischen Methoden, mit denen ich selbst zu tun habe, spielen Fragetechniken. Wir überlegen sehr genau, wie wir Fragen formulieren, welche Begriffe wir verwenden können und welche besser nicht. Die Fragestellungen sollen ja präzise formuliert sein, aber – je nach Adressat – können wir mal mehr, mal weniger Kenntnisse von Fachbegriffen und ggf. einschlägigen Normen voraussetzen.

Zahlen_Autor_Walsdorfer.jpgWelche Werkzeuge finden hier vor allem Verwendung?

Für die Datenerfassung programmiert in der Regel eines der statistischen Ämter für alle eine spezielle Fachanwendung. Diese Fachanwendungen umfassen auch Funktionen, um die Plausibilität der erfassten Angaben zu prüfen. Die Tabellierung deskriptiver Ergebnisse erfolgt wiederum mittels eines Systems, das die statistischen Ämter für ihre eigenen Zwecke selbst entwickelt haben. Daneben verwenden wir SAS, das ich persönlich für Sonderauswertungen einsetze, zukünftig aber auch für Standardtabellen.

Was aus Deinem Studium bringt Dir heute noch den grössten Nutzen?

Quer über die einzelnen Teilfächer erlernte ich eine bestimmte Denkstruktur. An einzelnen Fragestellungen kann ich das gar nicht festmachen, die sind höchstens ausnahmsweise wegen bestimmter Fachbegriffe von Belang. Aber insgesamt prägte mein Studium meine Herangehensweise an Aufgaben, einschließlich der Beachtung zeitlicher Einschränkungen und Abgabetermine. Insbesondere die wiederkehrende Beschäftigung mit mikroökonomisch fundierten Modellen hilft mir heute, ein Projekt (Erstellen einer Statistik) von seinen Ursprungsbestandteilen (Einzelangaben bei der Erhebung, Personalressourcen bei der Verarbeitung usw.) her zu denken.

Daneben kann ich auf Einzelheiten aus dem Teilfach „Personalwirtschaft“ zurückgreifen, wenn es um meine Führungsaufgaben geht.

Was hast Du im Rückblick vermisst?

Hätte ich mich – in Vorahnung meiner späteren Arbeit – mehr mit Statistik und/oder Ökonometrie beschäftigt, könnte ich heute in unserem Datenschatz mit größerer Zielsicherheit interessanten Zusammenhängen nachspüren.

In meinem beruflichen Alltag geht es sehr regelmäßig darum, dass ich mich innerhalb eines eng begrenzten Zeitraums recht intensiv mit einem Thema befasse. Ich finde, dass während des Studiums eine gute Vorbereitung auf diese Anforderung im Erarbeiten von Hausarbeiten und anschließender Präsentation besteht. Davon hätte ich gern mehr gehabt, aber meine Studienordnung sah nur eine gewisse Anzahl an Seminaren vor, und in Vorlesungen und Übungen wurde eine solche Beteiligung der Studenten nicht eingebaut. Die heutige Jugend lernt das ja bereits in der Schule.

 


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